Die Traube ist die klassische Herbstfrucht. Wie der aus Trauben gewonnene Wein schmeckt, ist aber nicht nur von der Rebsorte allein abhängig. | © Ascada/pixelio.de
Die Traube ist die klassische Herbstfrucht. Wie der aus Trauben gewonnene Wein schmeckt, ist aber nicht nur von der Rebsorte allein abhängig. | © Ascada/pixelio.de
29.08.2019 – Aktuell

Zwischen Überleben und Überdruss

Der Geschmacksinn: Hinweise auf Geniessbarkeit und Voraussetzung für Genuss

Der Geschmacksinn diente unseren Vorfahren als Kompass bei der Nahrungssuche. Vom Geschmacksinn hängt aber auch ab, ob wir ein Essen geniessen und als Teil der Schöpfung würdigen können.

 

Ob und wie uns das Essen schmeckt, hat mit vielen Aspekten zu tun. Fades Essen, das buchstäblich nach nichts schmeckt, kann zwar sättigen, ist aber nicht wirklich ein Genuss. Zum Muss wird das Essen umgekehrt auch, wenn uns die Fähigkeit, Geschmack wahrzunehmen, abhandengekommen ist. Vielen mag das Essen nicht so recht schmecken, wenn sie es allein zu sich nehmen müssen. Und manche vermögen geschmackliche Nuancen und Unterschiede nicht zu erkennen, weil sie den Geschmacksinn nicht trainieren.

 

Geschmack biologisch

Aus rein biologischer Sicht geht es weniger um Genuss als ums Überleben. Dazu schreibt die Biologin Claudia Baumberger, die bei oeku Kirche und Umwelt arbeitet: «Der Mensch kann fünf verschiedene Geschmacksqualitäten unterscheiden: süss, sauer, salzig, bitter und umami (schmackhaft, würzig; die Red.). Ursprünglich konnten die Menschen die Nahrung damit ihren Nährwerten zuordnen: Süss- und Umami-Geschmack garantiert viele Kalorien, salzig zeigt Mineralien an. Der unangenehme bittere Geschmack warnt vor giftigen und verdorbenen Speisen. Der saure Geschmack vor unreifen Früchten.»

In unserer Zeit des Überflusses stellen sich ganz andere Fragen. Die Herausforderung besteht nicht darin, überhaupt Nahrung zu finden, sondern sich angesichts des Überangebots zu entscheiden und beim Ausprobieren verschiedener Varianten die Unterschiede herauszuschmecken. Dazu schreibt der Moraltheologe Michael Rosenberger: «In einer satten, ja vielfach sogar übersättigten Gesellschaft ist es keine leichte Aufgabe, einen guten Geschmack zu entwickeln und zu bewahren.» Für die Christen führe jedoch kein Weg an dieser Aufgabe vorbei. Wer die Gaben Gottes nicht schmecke, könne auch Gott selbst nicht schmecken.

 

Langsam mit allen Sinnen

Guter Geschmack für Speisen und Getränke spiele eine zentrale Rolle, wenn wir erfüllt leben wollen, meint Rosenberger. Schmecken können sei das Ergebnis lebenslanger Lernprozesse. Auch beim Geschmacksinn macht Übung den Meister. So hilft es mehr zu schmecken, wenn man die Zutaten einer Speise kennt, und noch mehr, wenn man weiss, wo und wie sie gewachsen sind. Klassisches Beispiel dafür ist alles, was aus dem eigenen Garten kommt.

Dem Geschmacksinn auf die Sprünge hilft auch der Einsatz der anderen Sinne. Wer bewusst wahrnimmt, wie eine Speise oder ein Getränk riecht, aussieht, sich anfühlt und beim Zerkleinern klingt, isst und trinkt ganz automatisch langsamer. «Langsame Esser essen nicht nur weniger und sind häufiger normalgewichtig, sondern geniessen auch intensiver. Sie kosten Speise und Trank im wörtlichen Sinne aus. Das ist auch eine Frage der Ehrfurcht vor den Speisen und Getränken», schreibt Rosenberger.

Und last but noch least nennt er das Kochen als eine hervorragende Übung des guten Geschmacks. «Wer regelmässig selbst kocht, weiss mit der Zeit mehr über das, was er isst, und schult beim Kochen seine Sinneswahrnehmung für die Speisen und ihre Zutaten.» Eine wichtige Methode, die Sinne zu schärfen, sei auch das Fasten als freiwilliger Verzicht auf Nahrung.

Regula Vogt-Kohler

 

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