Als die Taube mit leerem Schnabel zurückkehrte, wusste Noach, dass es noch nicht Zeit war, die Arche zu verlassen und an Land zu gehen. | © Joachim Lodders/pixelio.de
Als die Taube mit leerem Schnabel zurückkehrte, wusste Noach, dass es noch nicht Zeit war, die Arche zu verlassen und an Land zu gehen. | © Joachim Lodders/pixelio.de
17.11.2022 – Impuls

Genesis 8,6–12

Nach vierzig Tagen öffnete Noach das Fenster der Arche (…). Dann liess er eine Taube hinaus (…) Die Taube fand nichts, wo sie ihre Füsse ruhen lassen konnte, und kehrte zu ihm in die Arche zurück (…). Dann wartete er noch weitere sieben Tage und liess wieder die Taube aus der Arche. Gegen Abend kam die Taube zu ihm zurück und siehe: In ihrem Schnabel hatte sie einen frischen Ölzweig. Da wusste Noach, dass das Wasser auf der Erde abgenommen hatte. Er wartete noch weitere sieben Tage und liess die Taube hinaus. Nun kehrte sie nicht mehr zu ihm zurück.

Einheitsübersetzung 2016

 

Zwischen Stürmen und Rettung

Die Geschichte von Noach und der Arche ist uns seit Kindertagen bekannt. Und wir wissen auch, dass diese Geschichte gut ausgeht. Das macht sie erträglicher. Gott setzt am Ende den Regenbogen als Bundeszeichen an den Himmel.

Doch wie ist es in den Stürmen unseres Lebens? Wie viel leichter wäre es doch, wenn wir auch da wüssten, wie es ausgeht und wie wir wieder Boden unter die Füsse bekommen!

Wenn wir mitten in der Krise stecken, möchten wir wohl alle möglichst schnell wieder aus dem Sturm raus. Und doch wissen wir: Neue Wege zu erkennen, das braucht Zeit. Manches will gut überlegt sein, von so manch Liebgewonnenem müssen wir uns verabschieden und vieles liegt gar nicht in unserer Hand. So bleibt uns nur, wie Noach, viel Geduld und Vertrauen aufzubringen, denn wir wissen nicht, wann die Flut in unserem Leben abebben wird.

Mich fasziniert an dieser Sintflutgeschichte vor allem das Dazwischen. Die Zeit zwischen der Katastrophe und der endgültigen Rettung. Sozusagen die Ruhe nach dem Sturm.

Dieser Noach überrascht mich. Er reisst nicht gleich das Fenster auf und springt heraus, um die Gegend zu erkunden, sondern er wartet erst mal einfach ab. Er wartet, bis die Zeit reif ist. Erst dann öffnet er das Fenster, lässt Luft und Licht in die Arche und damit auch durch Körper und Seele strömen. Schritt für Schritt wird er aktiv und lässt drei Tauben als Kundschafterinnen fliegen.

Welche «Tauben» würden wir heute aussenden? Welches wären unsere ersten Schritte nach dem Sturm?

Vielleicht wagen wir erste tastende Schritte auf andere zu oder versuchen, neue Kontakte zu knüpfen, uns neu zu orientieren, offen zu sein und abzuwarten, was zurückkommt?

Wenn dann unsere «Taube» mit leerem Schnabel zurückkommt und wir bemerken, dass es noch zu früh ist für feste Schritte oder guten Halt, dann heisst es: Weiter warten und einen nächsten Versuch wagen.

Manchmal kommt die Taube vielleicht mit einem Olivenzweig im Schnabel zurück: einem hoffnungsfrohen Zeichen, in Form von ganz konkreter Hilfe, oder auch in Form eines Lachens, einer Umarmung oder einer Einladung.

Manchmal müssen wir aber auch mehrere Tauben aussenden – bis wir wieder festen Boden unter den Füssen haben.

Noach hat die Zeichen der Zeit erkannt. Nach Sintflut und Rettung konnte neues Leben wachsen. Dies ist auch uns verheissen. Der Regenbogen am Ende der Geschichte soll auch für uns ein Zeichen der Hoffnung sein: Gott lässt uns in unseren Stürmen nicht untergehen!

Nadia Miriam Keller, Theologin, arbeitet als Spitalseelsorgerin am St. Claraspital in Basel