© Leonie Wollensack
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02.11.2023 – Aktuell

«Wir brauchen einen Strukturwandel»

Pfarreiversammlung in Liestal zu den Auswirkungen der Missbrauchsstudie

Im Anschluss an die sonntägliche Messfeier des 22. Oktober lud der Liestaler Gemeindeleiter Peter Messingschlager zur Pfarreiversammlung in den angrenzenden Pfarrsaal. Etwa 50 Frauen und Männer folgten seiner Einladung und fanden sich ein, um unter dem Leitsatz «Kirche – wie weiter?» Erfahrungen, Meinungen und Handlungsoptionen auszutauschen. Messingschlager eröffnete die Runde mit den Worten: «Wir befinden uns in einer faustdicken Krise, die an die Substanz geht. Kindern wie euren wurde Gewalt angetan von Mitgliedern unserer Kirche. Das ist eine Perversion dessen, wofür wir eigentlich stehen.»

Die Versammlungsteilnehmer/innen hatten Raum, sich zu äussern, wie es ihnen seit den Veröffentlichungen ergangen war. Im Vordergrund der Beiträge stand vor allem die grosse Betroffenheit. Einige Teilnehmer berichteten, dass in ihrem Umfeld Missbräuche bekanntgeworden waren. Schnell wurde aber auch deutlich, dass die Gemeindemitglieder – vor allem diejenigen, die sich seit Jahren engagieren – die Kollektivverurteilung, die momentan stattfindet, sehr schmerzt. «70 Jahre lang haben Tausende die Botschaft verkündet, und das wird jetzt alles aussen vorgelassen», bemerkte eine Teilnehmerin bewegt.

 

Was muss sich ändern?

Die Anwesenden hatten ausserdem die Möglichkeit, Vorschläge zu formulieren, wie es weitergehen soll und was sich ändern muss. Ein zentraler Punkt, der hierbei von beinahe allen Rednern/innen angesprochen wurde: die Strukturen in der katholischen Kirche. Es herrschte breiter Konsens darüber, dass ein Strukturwandel nötig sei. Die Versammelten kritisierten vor allem die vorhandenen Hierarchien, die aus ihrer Sicht den Machtmissbrauch stark begünstigen. «Kirche, das ist jeder von uns. Die Verantwortlichen müssen auf Augenhöhe mit den Gemeindemitgliedern ins Gespräch kommen», betonte ein Teilnehmer. «Bis in die Grundfesten müssen die bisherigen Konstrukte hinterfragt werden, und nach diesem Prozess würde es, nach meiner Einschätzung, ganz andere geben als bisher», ergänzte eine andere Teilnehmerin.

 

Konkrete Massnahmen in Liestal

Felix Terrier, Kirchenrektor des Klosters Dornach, der bei der europäischen Synode in Prag mit dabei war, gab im Anschluss an die Beiträge der Teilnehmer/innen seine Einschätzung ab, inwieweit der von den Versammelten geforderte Strukturwandel als konkrete Handlungsweisung von der Weltsynode zu erwarten sei. Nach ihm sollen die Menschen keine zu hohen Erwartungen an die Synode haben. Sie hätten aber die Möglichkeit, Synodalität im Kleinen zu leben. «Die Kirche vor Ort bekommt das Gesicht, das wir ihr geben.»

Messingschlager stellte zum Abschluss konkrete Handlungsschritte vor, die entweder bereits Usus sind oder in Kürze eingeführt werden sollen. So wird beispielsweise bereits seit längerer Zeit Präventionsarbeit geleistet – von der Einstellung neuer Mitarbeiter/innen, über die Zeit des Arbeitsverhältnisses, bis hin zu Angeboten für Kinder und Jugendliche. Geplant sind ausserdem vertiefte Implementierungen dieses Präventionskonzepts auch für Freiwillige. Messingschlager betonte: «Wir starten hier in der Gemeinde nicht bei Null, was das Einbeziehen der Gemeindemitglieder anbelangt.» Er adressierte die Anwesenden direkt: «Bei unseren Pfarreiversammlungen orientieren wir uns an euch, lassen das, was wir beschliessen, von euch absegnen. Wir haben ein Leitbild entwickelt, und es war uns wichtig, euch dabei miteinzubeziehen.» Die Versammlung endet mit einem Appell an die Teilnehmer/innen: «Ihr seid die Multiplikatoren dieser konkreten Handlungsvorschläge.»

Leonie Wollensack