Wunder bekommen Chancen durch Menschen, die nicht das Unmögliche von sich erwarten, aber bereit sind, das Mögliche zu tun. | © Hannah Busing / Unsplash
Wunder bekommen Chancen durch Menschen, die nicht das Unmögliche von sich erwarten, aber bereit sind, das Mögliche zu tun. | © Hannah Busing / Unsplash
30.11.2023 – Impuls

 

Markus 13,24-26

Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit grosser Kraft und Herrlichkeit.

Einheitsübersetzung 2016

 

Wir als Wunder in der Welt

Ich kenne Leute, die zappen im Fernsehen die Nachrichtensendungen weg. Der fiktive Mord und Totschlag in Grossaufnahme scheint ihnen viel interessanter als die Berichte über das reale Töten in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Welt. Zu wissen, dass die Filmtoten schon morgen in einer anderen Rolle wieder auferstehen, macht die Bildschirmgewalt zur lustvollen Unterhaltung, die durch das wirkliche Leben nicht gestört werden will. Aber es gibt auch diejenigen, die die Tagesschau ausschalten, weil sie die offensichtliche Not und das schreiende Elend hinter den sachlich moderierten Berichten schlicht nicht mehr aushalten. Darüber in der Zeitung zu lesen, ist noch zu ertragen, aber die Bilder berühren irgendwie tiefer und brennen Wunden in unsere Seelen. In viel zu vielen Weltgegenden gehören Terror und Krieg, Tote, Verstümmelte und verzweifelt Trauernde zur Selbstverständlichkeit des Alltags wie der Vorabendkrimi zu unserem Fernsehprogramm. Zwar werden viele Konfliktherde ausserhalb Europas bei uns kaum zur Kenntnis genommen, aber die Ukraine an der Grenze zur EU und das Heilige Land fast in Sichtweite der Ferienorte am Mittelmeer, kommen uns schon verdammt nahe.

Vor 40 Jahren hat der amerikanische Computerspezialist Joseph Weizenbaum mit Blick auf unsere Welt davon gesprochen, dass sie auf einen Eisberg zusteuere. Er verglich unser Schicksal mit dem der Titanic. Alle hielten sie für unsinkbar, doch schon auf ihrer ersten Reise kratzte sie einen Eisberg und versank mit über 1500 Menschen innerhalb weniger Stunden im Meer. Im Moment, als die Gefahr erkannt wurde, war es zu spät. Das Schiff war so in Fahrt, dass der Kurs nicht rasch genug korrigiert werden konnte, zu gross war die Dynamik, zu träge die Reaktionsfähigkeit. Auch die Welt sei nicht unsinkbar und sie halte mit grosser Geschwindigkeit auf den Eisberg zu, nur ein Wunder würde sie retten können, meinte Weizenbaum damals (J. Weizenbaum, Kurs auf den Eisberg, Zürich 1984).

Verzweifelt war er darob allerdings nicht. Er vertraute, dass das die nötigen Wunder geschehen werden. Nun ist das Problem bei Wundern, dass sie weder berechen- noch planbar sind. Was aber nicht bedeuten darf, dass wir sie erstarrt erwarten müssen. Im Gegenteil! Wer auf ein Wunder hofft, ist auch zum Handeln aufgerufen. Selbst wenn wir Wunder nicht «machen», so geschehen sie doch auch durch Menschen, die die Wirklichkeit sehen wollen und sich durch sie nicht lähmen lassen. Wunder – oder besser: wir – bekommen Chancen durch ganz alltägliche Menschen, die sich der Situation stellen, die tun, was sie tun können, auch jenseits des Gewohnten und des bisher Vertrauten, die nicht das Unmögliche von sich erwarten, aber bereit sind, das Mögliche zu tun.

Ob die Welt nur durch ein Wunder zu retten ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber so zu leben und zu handeln, dass Wunder tatsächlich auch durch uns geschehen können, scheint mir eine hoffnungsvolle und wertvolle Lebenshaltung zu sein.

Felix Terrier, Rektor der Klosterkirche Dornach