Die Tür zum Himmel ist offen: Lichtstrahlen laden sanft ein zum Verweilen und zum Stillwerden. | © Serena Koi/Pexels
Die Tür zum Himmel ist offen: Lichtstrahlen laden sanft ein zum Verweilen und zum Stillwerden. | © Serena Koi/Pexels
14.12.2023 – Impuls

Apostelgeschichte 7, 54.56-58

Als sie [was Stephanus zu sagen hatte] hörten, waren sie in ihren Herzen aufs Äusserste über ihn empört und knirschten mit den Zähnen gegen ihn. Er aber […] rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten einmütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füssen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hiess.

Einheitsübersetzung 2016

Wer macht hoch die Tür und weit das Tor?

Das war wirklich ein ganz spezieller Moment, als wir im Zisterzienserkloster Fontenay im nördlichen Burgund waren, gerade als die Kirchentür geöffnet wurde. Das Kloster wird nicht mehr von Mönchen bewohnt, dafür besuchen ganze Heerscharen von Touristen (wie wir) diese gut erhaltene und gepflegte Anlage. In dem besonderen Moment schenkte sich uns der Blick in die noch (fast) menschenleere romanische Kirche. Das Morgenlicht verzauberte den Raum und mit ihm uns. Wir fühlten uns sanft eingeladen zum Verweilen und zum Stillwerden.

Ein leerer Raum voller Licht, in dem nichts ablenkt. Wir empfinden rasch den Gegensatz zum täglichen Leben. Wie schnell werden wir vollgestopft mit vorgegebenen Dingen, mit Aufmerksamkeit heischenden Eindrücken, mit Ansprüchen und Erwartungen, mit Bedrohlichem und Lustversprechendem. Ganz viele Türen müsste man zuerst einmal verschliessen, um nicht überschüttet zu werden von aussen. Nur durch Auswählen und Selbstbeschränkung kann man sich spüren und entfalten. Nein, die Welt haben wir nicht vergessen, aber wir waren dankbar für den Moment, als jedes Aussen unwichtig wurde gegenüber diesem Hier und Jetzt.

Was der heilige Stephanus bei seiner Hinrichtung erlebt hat, kann und mag man sich nicht vorstellen. Der überlieferte letzte Satz seiner Rede aber ist eine Zusammenfassung des Evangeliums. Die Tür des Himmels ist aufgestossen, und das Menschenkind steht zur Rechten Gottes. Welch frohe Botschaft! Und welch weihnachtliche Botschaft! Während wir uns darüber Gedanken machen, wie wir die Tür zur Welt dosierend zeitweise schliessen können, öffnet uns das göttliche Gegenüber die Tür zum Himmel und gestattet uns einen Blick auf die grosse Versöhnung zwischen Mensch und Gott.

Ein solcher Blick wird uns gewährt, wenn wir vor der Krippe stehen und betrachten, wie das Menschenkind in Bethlehem schon mit seiner Geburt den Frieden einläutet zwischen Gott und Mensch. Bis dieser Friede auch wirksam wird als Versöhnung unter uns Menschen, liegt ein langer Weg vor uns, und wir sind in dieser Hinsicht nicht euphorisch optimistisch. Aber eine offene Tür gewährt immer wieder einen Blick auf diese Vision und gibt damit Motivation und Kraft, um die Gegensätze und Konflikte auszuhalten und versöhnend, d.h. Frieden stiftend, zu wirken.

Der Blick in die Kirche von Fontenay erinnert uns an die Notwendigkeit, wenigstens von Zeit zu Zeit unsere Prioritäten neu zu überprüfen und auszumisten, was sich an Ablenkung und Kitsch im Lauf der Zeit in uns angesammelt hat. Advent könnte uns an die Notwendigkeit erinnern, Platz zu machen für das Geheimnis des Neben-, Mit-, ja Ineinanders zwischen Gott und Mensch.

Nichts gegen die Gemütlichkeit der adventlich geschmückten Stube und den festlich gedeckten Weihnachtstisch. Das brauchen wir, damit es nicht herzenskalt wird. Aber zwischen Gesang und Geschenk darf die leise Ahnung nicht untergehen, die ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, mit dem Worten der Dichterin Hilde Domin auf den Weg durch die Weihnachtszeit mitgeben möchte:

Nicht müde werden
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

 

Ludwig Hesse, Theologe und Autor, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland