Jeden ersten Sonntag setzt die Bewegung «Pulse of Europe» ein Zeichen für Europa. In Köln ist Treffpunkt beim Dom. | © © Superbass/CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)
Jeden ersten Sonntag setzt die Bewegung «Pulse of Europe» ein Zeichen für Europa. In Köln ist Treffpunkt beim Dom. | © © Superbass/CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)
20.02.2020 – Hintergrund

«Was Europa fehlt, ist ein Stück Seele»

40 Jahre EU-Bischofskommission: vom Club zur offiziellen Organisation

Am 3. März feiert die EU-Bischofskommission Comece ihren 40. Geburtstag. Ihr Vorsitzender, Kardinal Jean-Claude Hollerich (61) aus Luxemburg, hat mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über Herausforderungen für die Zukunft gesprochen.

Herr Kardinal, was hat die Comece in den vergangenen 40 Jahren erreicht?

Jean-Claude Hollerich: Die Entwicklung der Comece in 40 Jahren ist ein kleines Wunder. Angefangen hat es mit einem Club von einigen Bischöfen der Länder der Europäischen Gemeinschaft, die damals noch sehr klein war. Sie haben sich zum Plausch getroffen. Dass wir nun im Rahmen von Artikel 17 des Vertrags von Lissabon regelmässig einen Austausch mit den EU-Institutionen führen, ist etwas sehr Schönes.

Die EU erkennt Kirchen und Religionsgemeinschaften als wertvolle Akteure in den europäischen Gesellschaften an. Insgesamt befinden wir uns als Kirche in Europa jedoch in der gleichen Position, wie der Papst die Kirche vor der Römischen Kurie beschrieben hat: Die Christenheit gibt es nicht mehr. Das merkt man auch bei den EU-Institutionen. Wir sind ein Player unter vielen.

Wie bemerken Sie das konkret?

Nach jeder Wahl des EU-Parlaments hat die Zahl der aktiven Christen abgenommen. Das bedeutet nicht, dass unsere Arbeit deshalb schwieriger wird. Denn wir sind ja keine Lobbyisten. Wir haben Argumente, die sich auf die Soziallehre der Kirche berufen, in die man sich hineindenken kann. Dieser Dialog kann auch sehr gut mit Nichtchristen geschehen. Ich merke, wie zum Beispiel die Umweltenzyklika «Laudato si» von Papst Franziskus oder auch die Amazonassynode die Leute begeistert, die sich gar nicht als Christen sehen würden.

Ist «Laudato si» womöglich sogar ein Grund dafür, dass die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen den Green Deal zur Priorität der EU in den kommenden fünf Jahren gemacht hat?

Nein, das wäre zu viel gesagt. Die Comece ist eine Organisation von vielen, die sich für dieses Thema einsetzt, aber wir haben sicher mitgewirkt. Wenn Frau von der Leyen und EU-Vizekommissar Frans Timmermans ihre Pläne verwirklichen können, ist das zum Wohl der Menschen in Europa und der ganzen Welt. Der Green Deal kann jedoch nur Erfolg haben, wenn die einfachen Bürger der EU bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern. Zudem wird ausreichend Geld gebraucht, um unsere Wirtschaft grüner zu machen. Darunter dürfen die Ärmsten der Gesellschaft nicht leiden.

40 Jahre sind vergangen, wie muss sich die Comece in den kommenden Jahren wandeln?

Wir müssen den Dialog unter Bischöfen intensivieren. Empathisches Zuhören ist wichtiger denn je. Was Europa fehlt, ist ein Stück Seele. Die EU ist in technischen Details wunderbar. Aber es entstehen auch die Populismen, weil die Leute das Gefühl haben, dass sie von einer Elite regiert werden. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihre Meinung nicht mehr wichtig ist.

Wenn ich von Seele Europas spreche, dann meine ich, dass wir wieder klarer wissen müssen, was europäische Identität bedeutet. Man kann nicht nur von europäischen Werten sprechen, sondern muss handeln. Derzeit sehe ich diese europäischen Werte zum Beispiel nicht so sehr auf der Insel Lesbos oder in den libyschen Camps.

In Osteuropa sieht man Europas Verpflichtung gegenüber Migranten aus Afrika oder Nahost etwas anders. Hat sich der Dialog mit den osteuropäischen Bischöfen über die Jahre verändert?

Der direkte Kontakt ist sehr wichtig. Deshalb bin ich auch viel in Europa unterwegs und treffe die verschiedenen Bischofskonferenzen, zuletzt war ich in Rumänien. In Polen gibt es zum Beispiel auch Ängste. Was bedeutet der Green Deal für die Kohleregionen? Es ist wichtig, dass die Menschen merken, dass die Comece für sie da ist, ihre Interessen abgewogen mit dem Gesamtbild vertritt. Wir wollen kein Westeuropa, das der EU den Weg diktiert. Wir wollen zusammen nach neuen Wegen suchen.

Gleichzeitig müssen wir auch auf Kritik hören und daraus lernen. Nicht alle Bischöfe sind zu 100 Prozent pro EU. Besonders der Dialog mit den Episkopaten aus Zentral- und Osteuropa ist deshalb sehr wichtig. Die Comece ist keine Superkirche, die von oben herab Politik macht. Wir wollen einfach konkret im Dienst der Bischöfe und der Kirchen in Europa stehen. Durch den Dialog mit der EU.

Sie sind regelmässig in Kontakt mit Papst Franziskus. Was denkt er über die Comece?

Der Papst schätzt die Comece sehr. Das ist auch der Grund, warum er mich zum Kardinal ernannt hat. Wenn man den Reden von Papst Franziskus zuhört, merkt man: Er redet Europa ins Gewissen. Die EU trägt zum Gleichgewicht in unserem multipolaren System bei. Die Welt erwartet von Europa, den Frieden in der Welt zu bewahren. Wer bereit ist, sich mit dem Papst und anderen Religionsgemeinschaften auf den Weg zu machen, wird Europas Seele wiederfinden.

Franziska Broich, kna/kath.ch