Wenn Grosseltern uns von unseren Vorfahren erzählen, ist darin auch unsere Geschichte mit Gott eingebunden. | © shutterstock
Wenn Grosseltern uns von unseren Vorfahren erzählen, ist darin auch unsere Geschichte mit Gott eingebunden. | © shutterstock
15.07.2021 – Impuls

Psalm 132,11.13–14.17–18

Der Herr hat David Treue geschworen, nicht wird er von ihr lassen: Einen Spross deines Leibes will ich setzen auf deinen Thron. Denn der Herr hat den Zion erwählt, ihn begehrt zu seinem Wohnsitz: Das ist für immer der Ort meiner Ruhe, hier will ich wohnen, ich hab ihn begehrt. Dort bringe ich Davids Macht zum Spriessen und stelle eine Leuchte auf für meinen Gesalbten. Ich kleide seine Feinde in Schande; doch auf ihm wird seine Krone erglänzen.

Einheitsübersetzung 2016

 

Was alles in der Familiengeschichte steckt

Kürzlich überreichte mir mein Onkel ein selbsterstelltes Buch über unsere Familiengeschichte. Wichtige Ereignisse und Personen wurden darin genannt und vieles kannte ich schon vom Hörensagen. Jetzt noch mit passendem Bildmaterial illustriert, wurden diese recht anschaulich. Mit einem gewissen Stolz zeigte ich es meinen Kindern und erzählte pathetisch von den früheren Zeiten.

Dabei musste ich mich daran erinnern, wie unsere Kinder bereits vor Jahren immer mal wieder von unseren Vorfahren hören wollten, von der Familie meiner Frau, die in Deutschland den Krieg hautnah erlebt hat, oder von meinen beiden Grossvätern, die man durchaus als Originale bezeichnen konnte. Gebannt hängen sie auch an den Lippen ihres 94-jährigen Urgrossvaters, wenn er ihnen von früher erzählt.

Alle unsere Erzählungen reichen jedoch maximal zwei Generationen zurück, im besten Fall hundert Jahre. Danach verblassen sie und werden immer weniger aussagekräftig. Bestenfalls kennen wir noch die Namen. Bilder gibt es meistens keine.

Ähnlich wird es mit den Geschichten über die Vorfahren Jesu gewesen sein. Gute zweihundert Jahre lang wurden sie mündlich weitergegeben, bevor jemand die Namen von Marias Eltern Anna und Joachim schriftlich erwähnt hat.

Dabei wurden im Rahmen der Marienverehrung gewisse Absichten verfolgt. Ähnlich wie im Stammbaum Jesu, der zum Beginn des Matthäusevangeliums aufgelistet ist, wird auch bei Maria versucht, zwischen der historischen Maria und der «Heilsgeschichte», der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel also, eine Verbindung herzustellen.

Wie es im Judentum üblich ist, wird die religiöse Zugehörigkeit über die Mutter weitergegeben. So wird die Lebensgeschichte der heiligen Anna, die übrigens erst seit dem Mittelalter als Heilige bezeichnet wird, der alttestamentlichen Hannah und ihrem Sohn Samuel nachgezeichnet.

Darin zeigt sich die Absicht, dass schliesslich auch Maria, die Mutter Jesu, in die grosse Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk Israel miteingebunden wird. Das Volk Israel erlebt mit seinem Gott Höhen und Tiefen, Aufstieg und Niedergang, Treue und Verrat, Liebe und Hass. Die Protagonisten der Bibel wie Abraham, Mose, David und eben auch Joachim, Anna, Maria und Josef sind dabei Prototypen und Vorbilder von Menschen, die sich auf Gott eingelassen haben und sich von ihm ansprechen liessen.

Und wie steht es nun mit uns, wenn wir unsere Familienalben anschauen und mit unseren Kindern über unsere Vorfahren reden? Sind wir uns bewusst, dass auch wir möglicherweise in diese Geschichte von Gott mit den Menschen miteingebunden sind? Ich bin überzeugt, dass dem so ist. Mit allen Höhen und Tiefen, die wir im Leben erleben, gehören auch wir zu dieser Geschichte, die seit Jahrtausenden überliefert und erlebt wird. Wie im heutigen Psalmwort zum Ausdruck kommt, ist Gott es, der den Menschen erwählt. Oft sind wir uns dessen nicht bewusst, aber ich denke, dass wir in der innehaltenden Rückschau entdecken können, welche Aufgabe wir haben und welchen Sinn unser Leben dadurch bekommt.

Mathias Jäggi, Theologe und Sozialarbeiter, arbeitet als Berufsschullehrer