Christen sind Toren, aber auch Tore. Dieses Tor vor der römisch-katholischen Kirche St. Peter und Paul in Allschwil haben Schülerinnen und Schüler in einem Landartprojekt gestaltet. | © Regula Vogt-Kohler
Christen sind Toren, aber auch Tore. Dieses Tor vor der römisch-katholischen Kirche St. Peter und Paul in Allschwil haben Schülerinnen und Schüler in einem Landartprojekt gestaltet. | © Regula Vogt-Kohler
20.09.2018 – Impuls

Weisheit 2,1a.12.17–20

Die Frevler tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen:
Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung.
Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an und entreisst ihn der Hand seiner Gegner. Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren, um seine Sanftmut kennen zu lernen, seine Geduld zu erproben. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt.

Einheitsübersetzung

 

Von Spöttern und Verspotteten

Dichter schaffen in ihren Dramen bestimmte Figuren, die uns unterschiedliche Charaktereigenschaften spiegeln sollen, die auch in uns selbst leben: Heldinnen und Helden, Gegenspieler, Vermittler, Intriganten. Auch das Buch der Weisheit und verschiedene andere Bücher der Bibel kennen dieses Stilmittel. Eine der häufigsten Gegenüberstellungen in der alttestamentlichen Literatur findet sich im Vergleich des Frevlers mit dem Gerechten, man könnte auch sagen, des Gotteslästerers mit dem Frommen. Immer wieder – bis ins Neue Testament hinein – reflektieren Texte den Unterschied zwischen diesen beiden Typen. Dieser Abschnitt aus dem Buch der Weisheit (entstanden im ägyptischen Alexandrien um 30 v.Chr.) ist Teil der Rede von Frevlern, die – nachdem sie sich die Endlichkeit des Lebens vor Augen gehalten haben – nun das Leben nach dem Motto «Carpe diem» auskosten. Schon die blosse Existenz der Gerechten und erst recht deren Anspruch, die besonderen Lieblinge Gottes zu sein, waren für die Frevler eine unerträgliche Herausforderung: «Lasst uns dem Gerechten auflauern!» Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg … Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt.»

Der Konflikt zwischen den Frevlern und dem Gerechten findet sich auch in den Darstellungen der Passion Jesu wieder. Derselbe spöttische Ton begegnet uns hier. Im Verhör vor dem Hohen Rat schlagen die anwesenden Schergen Jesus, verhüllen ihm das Gesicht und fragen ihn: «Du bist doch ein Prophet! Sag uns, wer hat dich geschlagen?» (Lk 22,64) Als Jesus am Kreuz hängt und stirbt, sagen sie zueinander: «Lasst uns doch sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt!» (Mk 15,36)

Wie sie sich doch gleichen, die Aussagen der Spötter! Für sie ist Wehrlosigkeit ein Zeichen von Schwäche, ja von Gottverlassenheit. Wer unterliegt, den hat Gott aufgegeben.

Es ist aber nicht dieser von den Gegenspielern verspottete Gott, auf den der Gerechte vertraut – denn diesen gibt es für ihn gar nicht. Zumindest ist das nicht sein vorrangiges Verständnis von Gott. Er vertraut auf einen Gott, der sich im Scheitern und in der Wehrlosigkeit nicht von ihm abwendet. Er bezieht seine Identität, seinen Selbstwert, aus seiner Beziehung zu Gott, aus der Liebe Gottes, die sich ihm zuwendet und ihn selbst durch all seine Verletzungen hindurch erreicht.

Und wie sollen wir das alles in unsere heutige Zeit und in unsere Welt hinein übersetzen? Was heisst das für uns Christen? Die Schriftstellerin Andrea Schwarz bringt es meines Erachtens sehr gut auf den Punkt, wenn sie den Christen als «Tor» beschreibt. Ein Tor ist ein Narr, einer, der verrückte Dinge tut – aber ein Tor ist auch eine Tür, ein Eingang, ein Übergang.

Christen sind Toren – weil sie aus der Sicht der anderen manchmal ganz närrische Dinge tun: In den Gottesdienst gehen und beten, sich für das ungeborene Leben einsetzen, Sexualität als Wert verstehen, den man nicht verkaufen darf.

Christen sind aber auch Tore. Sie leben im Übergang, in der Vorläufigkeit zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch. Sie ahnen etwas von der Herrlichkeit Gottes und der Ewigkeit – und können deshalb das Leben hier und jetzt anders leben. Sie können anders Mensch sein, weil es Gott in ihrem Leben gibt.

Nadia Miriam Keller, Theologin, ursprünglich Pflegefachfrau, arbeitet in der Pfarrei St. Odilia, Arlesheim