Wohin soll es gehen, wenn es nicht mehr geht? | © Jacob Campbell/Unsplash
Wohin soll es gehen, wenn es nicht mehr geht? | © Jacob Campbell/Unsplash
19.10.2023 – Impuls

Lukas 24,28–29

So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten: Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt! Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.

Einheitsübersetzung 2016

Vom Davonlaufen und Bleiben

Es ist zum Davonlaufen! Wie oft sagen wir das doch einfach so daher. Ernst wird es aber dann, wenn Bleiben keine Option mehr ist und nur noch eine Flucht zu helfen scheint.

Es ist zum Davonlaufen, sagt die Frau nach wenigen Ehejahren – und tut es wirklich. Aber nicht nur in ehelichen Einöden, auch in der Einsamkeit des Alters oder im überfordernden Job, in Zeiten von Krankheit, Krieg und Klimaproblemen ist es zum Davonlaufen.

Für den heiligen Angelo von Acri war auch das Klosterleben zum Davonlaufen. Zweimal hat er kurze Zeit nach seinem Eintritt wieder die Flucht ergriffen. Erst beim dritten Anlauf konnte er sich endgültig für das entbehrungsreiche Leben entscheiden.

Und ja: Auch die Situation der Kirche ist derzeit für ganz viele Menschen «zum Davonlaufen»! Aber wohin soll es gehen, wenn es nicht mehr geht?

Die Bibel erzählt viele Geschichten vom Davonlaufen und Bleiben. Eine davon ist die Geschichte der Emmausjünger. Als es nach Jesu Tod darauf ankommt, Farbe zu bekennen, bleiben von den Jüngerinnen und Jüngern nur die Frauen. Die Männer laufen davon. Zwei von ihnen wandern nach Emmaus und sprechen unterwegs über ihre enttäuschten Hoffnungen. Auf dem Weg begegnen sie einem Unbekannten, der sich in ihr Gespräch einmischt. Er kann ihnen alles so gut darlegen, dass sie ihn bitten: «Bleibe bei uns, denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt» (Lk 24,29). Er bleibt. Und als der fremde Gast das Brot mit ihnen bricht, gehen ihnen die Augen auf und sie erkennen ihn: Es war der auferstandene Jesus, der bei ihnen blieb. Seit dieser wunderbaren Geschichte wissen wir, dass er bei uns bleibt. Und seit dieser Geschichte wissen wir auch, wo wir bleiben können, wenn es zum Davonlaufen ist.

Was kann die Kirche tun, wenn ihr die Menschen davonlaufen? Was braucht es, damit die Menschen zu ihr zurückfinden?

Bei einer Begegnung mit den brasilianischen Bischöfen im Jahre 2013 findet Papst Franziskus – ausgehend von der Emmausgeschichte – zu dieser Antwort: «Es braucht eine Kirche, die keine Angst hat, in die Nacht dieser Menschen hineinzugehen. Es braucht eine Kirche, die fähig ist, ihnen auf ihren Wegen zu begegnen. Es braucht eine Kirche, die sich in ihr Gespräch einzuschalten vermag. Es braucht eine Kirche, die mit jenen Jüngern zu dialogisieren versteht, die aus Jerusalem fortlaufen und ziellos allein mit ihrer Ernüchterung umherziehen, mit der Enttäuschung über ein Christentum, das mittlerweile als steriler, unfruchtbarer Boden angesehen wird, der unfähig ist, Sinn zu zeugen. (…) Es braucht eine Kirche, die wieder das Feuer bringt, um die Herzen in Brand zu setzen.»

Ob wir nun bleiben oder im Davonlaufen die Lösung auf unsere Fragen sehen – für uns alle (und auch für die Kirche) gilt die Verheissung: Gott ist da und er bleibt.

Nadia Miriam Keller, Theologin, arbeitet als Spitalseelsorgerin am St. Claraspital in Basel