26.01.2023 – Editorial

Verzerrte Wahrnehmung

Lesotho? Maseru. Swasiland? Mbabane. Obervolta? Ouagadougou. – Die afrikanischen Hauptstädte kannte ich alle. In meiner Schulzeit war die Landkarte Afrikas bunt geworden, viele neue Staaten waren entstanden. Beim Brüten über dem Weltatlas hatte sich mir ihre Lage auf dem Kontinent eingeprägt. Die Karten lieferten auch eine klare Vorstellung von der Erde: Grönland thronte als riesige Insel über allem, Kanada war mindestens so gross wie Afrika, beide aber klein im Vergleich zur Sowjetunion.

Ein starkes Bild der Welt, aber falsch! Später versuchten andere Darstellungen die groteske Verzerrung der Flächen zu korrigieren. Aber die neuen Weltkarten widerstrebten mir. Dabei hatten sie recht: Länder wie Algerien oder die Demokratische Republik Kongo sind grösser als Grönland. Die Fläche Afrikas übertrifft diejenige von Kanada oder der USA um das Doppelte. Auch die damalige UdSSR war in Wirklichkeit viel kleiner als Afrika.

Ähnlich verzerrt kommt mir unsere Medienberichterstattung vor. Wir werden mit Livebildern von jedem Wirbelsturm an der Küste Floridas versorgt, wir hören Interviews zu Schiessereien an Schulen in Texas, wir kennen die Anzahl Wahlgänge für den Speaker des US-Repräsentantenhauses. Was erfahren wir vom Stand der Schulbildung im Sudan? Vom religiösen Leben in Nigeria? Von den Themen der Jugend in Angola?

Für die katholische Kirche sind die Gläubigen Afrikas eine bedeutende Realität. Wenn der Papst in diesen Tagen Kongo und Südsudan besucht, rücken sie für einmal in unser Blickfeld. Ich hoffe auf Berichte, die mein Weltbild verändern.

Christian von Arx