17.01.2019 – Editorial

Einheit der Christen?

Vom «längsten Skandal der Kirchengeschichte» ist die Rede, wenn es um die Trennungen der christlichen Kirchen geht. Tatsächlich überliefert das Johannesevangelium das Gebet von Jesus am Abend vor seiner Auslieferung, in dem er den Vater bittet: «Alle sollen eins sein.» Ausdrücklich erbittet er dies nicht nur für die Jüngerinnen und Jünger, die mit ihm am Tisch ­sassen, «sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben». Der Skandal ist, dass sich, entgegen dem Jesuswort, die Christgläubigen bis heute in Gruppierungen und Kirchen gesammelt haben, die sich durch alle Jahrhunderte hindurch streiten und bekämpfen.

Das ist der Anlass zur Gebetswoche für die Einheit der Christen, die jährlich vom 18. bis 25. Januar begangen wird. Doch was heisst Einheit? Die Vorstellung einer einzigen Kirche für alle Christinnen und Christen dieser Welt wäre mir suspekt. Wer würde darin bestimmen, was der rechte Glaube ist? Wie würde ­eine solche Kirche mit denen umgehen, die ein anderes Glaubensverständnis haben?

Vielfalt des Glaubens ist kein Skandal. Vielfalt der Glaubensinhalte und der Glaubensformen ist ein Reichtum. Vielleicht ist darum auch die Vielheit christlicher Bekenntnisse nicht das Übel, als das es oft dargestellt wird. Sie kann uns neugierig und aufmerksam machen, uns für andere interessieren und mit ihnen ins Gespräch kommen lassen. Gerade dazu will ja die Gebetswoche für die Einheit der Christen auch einladen.

Vielleicht meint das Gebet um Einheit der Christen gar nicht allein die verschiedenen ­Kirchen, sondern ebenso die persönlichen Beziehungen von Gläubigen. Es lässt uns doch immer wieder staunen, wie gerade unter dem Dach der römisch-katholischen Kirche Menschen mit ganz unterschiedlichen Glaubensvorstellungen vereint sind – nicht nur weltweit, sondern auch bei uns, in der eigenen Pfarrei. Wir haben Überzeugungen, die uns überaus wichtig sind, und stellen doch fest, dass andere in der gleichen Kirche sie keineswegs teilen,
ja ablehnen. Das kann weh tun. Was bedeutet Einheit der Christen in dieser Situation?

Die katholische Kirche sei eine Ökumene in sich, sagte mir dieser Tage eine Pastoralraumleiterin aus der Region. Denn sie habe es immer wieder geschafft, auch gegensätzliche Positionen unter einen Hut zu bringen. Wenn das zutrifft, sehe ich darin eine Grundlage für die Einheit der Christen: Alle gehören dazu, auch diejenigen, die anders sind und anders glauben.

Christian von Arx