22.09.2022 – Editorial

Unter der Brücke

Herbstzeit, Wanderzeit! Kurz vor dem Eidgenössischen Bettag führte uns ein Ausflug ins Gebiet des Chasseral mit seinen zahlreichen frei stehenden Bergbauernhöfen, den Métairies. Ein Alpwirtschaftsgebiet von parkartiger Schönheit, mit verlockenden Angeboten zum Einkehren. Aber auch eine Gegend, die uns mit einem schmerzhaften Kapitel unserer Geschichte konfrontiert.

Am obern Eingang der Combe du Bez, einer weglosen Schlucht, befindet sich der Pont des Anabaptistes, die Täuferbrücke. An diesem versteckten Ort auf 1154 Metern über Meer, in der Gemeinde Corgémont, trafen sich im 17. Jahrhundert die Täuferfamilien der Umgebung, die aus religiösen Gründen von Bern aus dem Emmental vertrieben wurden. Im Herrschaftsgebiet des Fürstbischofs von Basel fanden sie Unterschlupf. Der Bischof duldete die Täufer vor allem deshalb, weil sie sich auf den Gutshöfen im rauen Jura als tüchtige Pächter erwiesen.

Die Verfolgung der aus der Reformation heraus entstandenen Täuferbewegung in der Alten Eidgenossenschaft war hart: Enteignung, Verbannung, Gefängnis und Folter, manche ihrer Führer wurden ertränkt oder verbrannt. Wer heute als Wanderer vor den moosbewachsenen Felsen mit alten Einritzungen steht, ist bewegt von der Vorstellung, dass sich unter der (1924 eingestürzten) Täuferbrücke gläubige Menschen versammelten, die in unserem Land um ihres urchristlich inspirierten Glaubens willen von anderen Christen unbarmherzig gejagt wurden. Der stille Ort beim Pont des Anabaptistes steht für Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit.

Christian von Arx

Am Brückenkopf steht heute eine zeichnerische Rekonstruktion, wie die steinerne Täuferbrücke vor ihrem Einsturz 1924 ausgesehen hat. Rechts ist der neue, 2011 erstellte Holzsteg über die Schlucht zu sehen. | © Christian von Arx
In der Felswand unter der eingestürzten Brücke sind zahlreiche Buchstaben, Zahlen und Zeichen aus unterschiedlichen Zeitabschnitten eingeritzt, die älteste erkennbare Jahrzahl ist 1633. | © Christian von Arx
Eine Gedenktafel am Felsen erinnert an die frühere Funktion des Platzes als Versammlungsort der Täufer. Heute halten die Mennoniten alle zwei Jahre am ersten Sonntag im August einen Gedenkgottesdienst bei der Täuferbrücke. | © Christian von Arx
Der Versammlungsort war unter der eingestürzten Steinbrücke. Oben der neu erstellte Holzsteg. | © Christian von Arx
Die im Jahr 2011 eingefügte Gedenkstele von Jean-Pierre Graber (Biel) besteht aus sechs dreihbaren Jurakalksteinen. Sie sind beschriftet mit wichtigen Ereignissen der Täufergeschichte aus fünf Jahrhunderten. | © Christian von Arx
Beim Pont des Anabaptistes stossen Wanderwege aus drei Richtungen zusammen. | © Christian von Arx