05.12.2019 – Editorial

Und wenn ich nicht getauft wäre?

«Wenn katholische Eltern ihr Kind nicht mehr taufen lassen, dann ist eine Kirchenmitgliedschaft schon beendet, bevor sie beginnen konnte.» So direkt kommentiert das von der katholischen Kirche getragene Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) in St. Gallen den Befund in seiner neusten Kirchenstatistik, dass ein wachsender Teil katholischer (wie auch reformierter) Eltern in der Schweiz ihre Kinder nicht mehr taufen lässt.

Die groben Zahlen: Knapp 36 Prozent der Schweizer Bevölkerung gehören der katholischen Kirche an, aber die Zahl der katholischen Taufen erreicht nur 21 Prozent aller Geburten in der Schweiz. Zwar werden etliche Zuwande­rerfamilien ihre Kinder in ihren Herkunftsländern taufen lassen, trotzdem bleibt eine grosse Differenz. Das Institut schätzt, dass heute bei rund 20 bis 50 Prozent der Kinder die Kirchenzugehörigkeit der Eltern nicht weitergegeben wird. Dabei gibt es grosse regionale Unterschiede, aber die «Taufquote» geht überall zurück. Im Verzicht auf den Empfang von Sakramenten wie Taufe oder Trauung sieht das SPI eine relativ neue Entwicklung, einen Entfremdungsprozess, der zu einer Erosion der Kirchenbindung führt. Und es sagt: «Kirchenmitglied zu sein, ist bei jüngeren Menschen in der Schweiz, vor allem im städtisch geprägten Umfeld, je länger je mehr eine Ausnahmeerscheinung.»

Diese klaren Aussagen schrecken auf. Während die jährlichen Zahlen der Kirchenaustritte – sie bewegen sich in der Grössenordnung von etwa 1 Prozent aller Mitglieder – mit der Zeit ein Gefühl der Ohnmacht auslösen mögen, stellt uns die Erkenntnis, dass die Taufe der Kinder keine Selbstverständlichkeit mehr ist, auch im persönlichen Umfeld vor die Frage: Was bedeutet die Taufe eines Kindes? Und was heisst es, wenn ein Kind nicht getauft wird?

Es ist wichtig, dass diese Frage nicht in erster Linie aus der Sicht der Kirche beantwortet wird, die sich um ihre Mitgliederzahl sorgt. Gefragt sind vielmehr individuelle Antworten aus der Sicht der jungen Eltern und ihrer Angehörigen, mit Blick auf das Kind. Was hiesse es zum Beispiel für Sie, wenn Sie nicht getauft worden wären? – Die Erfahrung zeigt, dass ein Kind durch die Taufe keineswegs die Freiheit verliert, später seinen eigenen Weg zu gehen. Aber kann es umgekehrt ohne die religiöse Begleitung in Kindheit und Jugend noch den Zugang zur Welt von Glauben und Religion finden? Zu einer Welt, die Menschen stärkt, um der schrankenlosen Herrschaft von Besitz und Macht zu widerstehen?

Christian von Arx