13.07.2023 – Editorial

Szenen am Mittelmeer

Wer in der korsischen Hafenstadt Calvi beim Dahindösen am Strand zwischendurch mal die Augen öffnet, könnte bei diesem Anblick schon auf die Idee kommen, dass es sich um eine Art Fata Morgana handelt. Am anderen Ende der weiten Bucht springen Männlein aus Flugzeugen und treiben an Fallschirmen hängend in der warmen Luft über dem Meer. Nach einem touristischen Unternehmen sieht es nicht aus, ist es auch nicht: Es ist die französische Fremdenlegion, die hier trainiert – und damit dem Dolce far niente einen bitteren Beigeschmack verleiht.

Ein Riss in der mediterranen Postkartenidylle tat sich 1996 auch im griechischen Fährhafen Rafina auf. Beim Warten auf das Schiff, das uns nach Tinos bringen sollte, stach uns eine Parole ins Auge. Makedonien sei griechisch, hiess es da. Jahrzehntelang zog sich der Streit um den Namen des Staats, der 1991 aus dem südlichsten Teil des früheren Jugoslawiens hervorgegangen war, dahin. Erst 2019 stimmten die Parlamente der beiden Länder einem Kompromiss zu. Seitdem heisst die 1991 als Mazedonien gegründete Republik Nordmazedonien.

Am Mittelmeer prallen unterschiedliche Realitäten und Ansprüche aufeinander. Auf seiner ersten Reise als Pontifex besuchte Papst Franziskus 2013 Lampedusa, um auf das Schicksal der Bootsflüchtlinge aufmerksam zu machen. Tausende sind auf ihrer Reise der Hoffnung ertrunken. Das Mittelmeer – ein Ort der Verzweiflung und des Todes. Die Tragödien sollten unser Gewissen aufrütteln, schreibt Franziskus in einem Brief, der in Lampedusa zum Gedenken an seine Visite verlesen wurde.

Regula Vogt-Kohler