Ein Öpferli bringen, wie es der Autor in seiner Kindheit erlebte: Auf einen kleinen Genuss verzichten, etwas Gutes tun oder eine Schlechtigkeit meiden – und dann dem Jesuskind einen Strohhalm in die Krippe legen. | © Thomas Max Müller/pixelio.de
Ein Öpferli bringen, wie es der Autor in seiner Kindheit erlebte: Auf einen kleinen Genuss verzichten, etwas Gutes tun oder eine Schlechtigkeit meiden – und dann dem Jesuskind einen Strohhalm in die Krippe legen. | © Thomas Max Müller/pixelio.de
18.10.2018 – Impuls

Jesaja 53,10–11

Der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen. Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.         

Einheitsübersetzung

 

Sühnopfer und Öpferli – eine Lektion fürs Leben

Es waren die 50er-Jahre. Damals war ich ein Kind und wurde katholisch erzogen. Eine Erziehungsmassnahme meiner Mutter ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Wir Kinder wurden angehalten, fürs Christkind ein Öpferli zu bringen. Das hiess, dass wir als Vorbereitung auf Weihnachten dem Christkind zuliebe hier und da auf einen kleinen Genuss verzichten sollten, dass wir bewusst etwas Gutes taten oder eine Schlechtigkeit mieden (zum Beispiel den Streit mit den Geschwistern). Wenn uns ein solches Öpferli gelang, durften wir dem Jesuskind einen Strohhalm in die Krippe legen. Das war eine niedliche Gipsfigur, die mich sanft anblickte und mir die Arme entgegenstreckte. Wir durften dem neugeborenen Gottessohn den Aufenthalt im Stall von Bethlehem etwas leichter machen. Denn das Christkind sollte nicht in der unbequemen Krippe liegen, sondern auf eine gepolsterte Unterlage gebettet werden, die nach und nach während des Advents entstand, wenn wir Geschwister unsere Öpferlistrohhalme zusammenlegten und in die Krippe legten.

Man mag diese Strohhalmpädagogik und den damit verbundenen Öpferlihandel aus heutiger Warte belächeln und durchaus kritisch bewerten. Traumatisiert oder verdorben hat mich Mutters Griff in die katholische Erziehungstrickkiste nicht. Im Gegenteil, als Kind leuchtete mir dieses eigenartige Tauschgeschäft durchaus ein, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie es funktionierte. Tief in mir schlummerte offenbar das intuitive Wissen: Wenn ich auf etwas, was mir lieb und teuer ist, verzichte, oder wenn ich mich bemühe, gut und hilfsbereit zu sein, so kann ich das tun für jemand, den ich gern habe. Es kommt – auf welchen Wegen und Umwegen auch immer – einem notleidenden Neugeborenen zugute, und das Christkind freut sich darüber.

Es war eine Lektion fürs Leben. Mein Tun und Unterlassen, mein Verhalten, mein Denken und Reden, selbst die fraglose Liebe eines Kindes, all das ist vernetzt mit der ganzen Welt und mit allen Menschen und auch mit dem Christkind. Eine positive Handlung meinerseits wirkt sich positiv aus. Das war eine starke Botschaft, die mir bis heute nachgeht. Ich kann tatsächlich etwas tun für andere, und wär es nur, dass ich für jemand Für-Bitte einlege.

Vielleicht kann diese Reminiszenz aus meinen Kindertagen zum Verständnis dessen beitragen, was in dem kurzen Prophetenwort verhüllt angedeutet wird mit dem Begriff «Sühnopfer». Theologisch gesprochen eine unerhört schwierige Sache! Ich sehe darin das ultimative Öpferli eines erwachsenen, reifen Menschen. Jesaja nennt ihn «Gottesknecht», eine geheimnisvolle Figur, die ihr Leben hingibt. Es geht um keine Kleinigkeit: Der Einsatz, ja die Hingabe des Lebens für die anderen wird als ein gottgefälliger Akt dargestellt. Zugute kommt er den vielen, die dadurch Gerechtigkeit erlangen, den Zugang zu Gott finden und einziehen dürfen ins Himmelreich.

Darin spiegelt sich eine zentrale Glaubens- und Lebenserfahrung. Leben wird möglich, wenn jemand – aus Liebe – bereit ist, das eigene Leben zu opfern, sich selber mit Haut und Haar hinzugeben. Ob universal wie der Menschensohn, der sein Leben hingibt als Lösegeld für viele, ob heroisch wie Maximilian Kolbe, der im KZ stellvertretend für einen Familienvater in den Hungerbunker ging, oder ob arglos wie ein Kind, das sich scheibchenweise hingibt, indem es fürs Christkind ein Öpferli bringt, nicht nur im Advent.

Peter von Sury, Abt des Benediktinerklosters Mariastein