29.10.2020 – Aktuell

Wider die Hölle auf Erden

Standpunkt pro Konzernverantwortungsinitiative

Joseph Thali-Kernen. | © zVg

Die Konzernverantwortungsinitiative ist für mich ein epochaler Schritt für mehr Gerechtigkeit, für menschenwürdigeres Leben und friedlichere Verhältnisse. Auf meinen vier Reisen nach Ruanda, Kolumbien und in die Demokratische Republik Kongo/Zaire in den letzten 30 Jahren habe ich das Elend, die Verarmung und den Hunger der Menschen gesehen. Wenn ich meine Tagebücher lese, spüre ich wieder die Wut, die mich gepackt hat und bis heute bewegt, aber auch die Tränen zwischen den Zeilen bei den vielen Begegnungen, Gesprächen und Diskursen mit den verzweifelten Menschen vor Ort. Begegnungen mit Missionaren, Laien und Ordensschwestern, Frauen und Kindern. Dom Helder Camara, dem ich persönlich in Freiburg im Breisgau und in Luzern begegnet bin, sagte Folgendes: «Haben wir den Mut, die Parallele zuzugeben, auch wenn sie etwas beschämend ist: So wie in den Entwicklungsländern eine kleine Gruppe Reicher ihren Reichtum auf Kosten von Millionen ihrer Mitbürger geniesst, so erkaufen auf Weltebene die Supermächte ihren Reichtum mit dem Elend der armen Länder.»

Ruanda ist überbevölkert, hat keine Bodenschätze und hat einen grauenhaften Genozid erlebt, weil der Hunger die Menschen in Verzweiflung, Hass und zum entsetzlichen Morden führte. Ruanda hat sich ein Stück des Ostens vom Kongo militärisch genommen. Dort hat es Bodenschätze in rauen Mengen: Coltan (für Handys), Uran (die ersten Atombomben im Zweiten Weltkrieg wurden mit kongolesischem Uran hergestellt), Gold (wird in der Schweiz verarbeitet), Kupfer, Kobalt/Lithium (Autobatterien), Diamanten, Platin, Erdöl und Erdgas. Auch Kohle wird im Kongo abgebaut. Zinn, Zink und Silber sind weitere Bodenschätze. Die Hauptstadt der östlichen Provinz Kasaï-Oriental hat heute über 2 Millionen Einwohner/innen und war noch vor kurzer Zeit ein Provinznest. Rund um die Stadt grübeln die Menschen mit ihren nackten Händen in den Erdlöchern nach Diamanten. Seit über 20 Jahren ist in den kongolesischen Ostprovinzen Süd- und Nord-Kivu, wo die meisten Bodenschätze sind, Bürgerkrieg. Millionen wurden ermordet. Denis Mukwege, ein einheimischer Arzt und letztjähriger Friedensnobelpreisträger, ist vor Ort in Goma in der Provinz Nord-Kivu und kümmert sich um Tausende Frauen, die als Kriegswaffe täglich vergewaltigt werden. Hier agieren die transnationalen Konzerne, verstricken sich für ihre Schürfrechte in Korruption mit den einheimischen Eliten. Zusammen mit verschiedenen Staaten werden die unterschiedlichsten militärischen Operationen mit Waffen beliefert, um sich ein Stück des fast unendlichen Reichtums zu ergattern. Die Menschen vor Ort haben Hunger, sind kriegsverletzt und haben buchstäblich nichts vom Reichtum.

Milo Rau hat in seinem Film «Das Kongo Tribunal», der in unseren Kinos lief, im Osten Kongos ein eindrückliches Tribunal inszeniert und die Kontrolle über die Rohstoffe aufgezeigt. Der Osten Kongos ist der opferreichste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Und so formuliert Rau diesen Bürgerkrieg um die Rohstoffe als «Hölle auf Erden».

Unsere Konzerne, die mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln handeln, sind mitverantwortlich für das Leben der Produzenten/innen und der Bewohner/innen der Bodenschatzgebiete. Wirtschaftsleute (so gelesen in der neuesten Ausgabe des reformierten «Kirchenboten»), Menschen aus fast allen politischen Richtungen und Parteien, unsere Kirchen und Hilfswerke sagen Ja zur Konzerninitiative.

So geht es nicht weiter, und meine innerste Glaubensüberzeugung ist, dass wir als Gläubige einstehen müssen für eine Welt in der jede und jeder Platz hat. Die Nächsten lieben ist Gottesliebe, weil ICH bin, wenn DU bist.

Joseph Thali-Kernen

 

Joseph Thali-Kernen, Allschwil, Diakon und ehemaliger Gemeindeleiter, ist Mitglied des Landeskirchenrates der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Basel-Landschaft; von 2008 bis 2020 war er Vorstandsmitglied von Caritas Schweiz.