08.08.2019 – Editorial

Sommerlektüre

An heissen Tagen ist leichte Kost angesagt, nicht nur punkto Essen. Jahr für Jahr empfehlen uns die Medien die ideale Lektüre für die Sommerferien. Unterhaltsam, spannend und flott geschrieben soll er sein, der Lesestoff, den man am Meer oder anderswo zu verschlingen gedenkt. Und so versenkt man sich in eines dieser sommerlichen Bücher – um dann irgendwann festzustellen, dass man ungeduldig vorwärtsblättert, weil man nach der x-ten epischen, aber punkto Handlung und Charaktere völlig unerheblichen Beschreibung einfach mal wissen will, wie es weiter- und/oder ausgeht. Und so wie man mal genug hat von Melonen mit Rohschinken und sich nach einer warmen, vielleicht sogar deftigen Mahlzeit sehnt, würde man zwischendurch gerne nach einem Buch greifen, das zwar etwas schwerer verdaulich ist, dafür aber auch länger in Erinnerung bleibt.

Ein solches Buch hat mich dieses Jahr in die Berge begleitet: «Die offenen Adern Lateinamerikas» von Eduardo Galeano. Auf knapp 400 Seiten beschreibt der urugayische Autor die Geschichte seines Kontinents: mehr als flott geschrieben, ebenso dicht wie schonungslos und kritisch. Sein Fazit nimmt uns in Pflicht: Die Südamerikaner sind arm, weil andere vom Reichtum ihrer Länder profitieren. Das Ende der Kolonialherrschaft hat daran nichts geändert.

Ein Augenöffner – nicht zuletzt für die bevorstehende Amazonassynode – ist auch «Amerika vor Kolumbus» von Charles C. Mann, einem US-amerikanischen Autor und Journalisten. Mann schreibt auf rund 700 Seiten die Geschichte Amerikas vor der Entdeckung (und Ausbeutung) durch die Europäer. Das Bild, das er zeichnet, unterscheidet sich stark von den lange geltenden Vorstellungen Amerikas und seiner Bewohner vor 1492. Moderne Untersuchungsmethoden zeigen, dass die Uramerikaner ihrem Kontinent viel länger und intensiver als bisher angenommen den Stempel aufgedrückt haben. So deutet vieles darauf hin, dass der Dschungel im Amazonasgebiet zu einem wesentlichen Teil nicht Urwald ist, sondern auf sogenannter «Terra preta», «Schwarzerde», die von indianischen Kulturen stammt, gewachsen ist. Diese durch ein Gemisch von Holz- und Pflanzenkohle, menschlichen Fäkalien, Dung, Kompost, Tonscherben, Knochen und Fischgräten entstandene Schicht ermöglicht intensive Landwirtschaft in den feuchten Tropen, ohne den Boden schnell auszulaugen.

Regula Vogt-Kohler