25.06.2020 – Editorial

Sommerfreuden

Kurzärmlig nach draussen gehen. Die Duftwolke einer ­Linde einatmen. Alle Schattierungen von Grün im bewaldeten Hang wahrnehmen. Aber auch: Sich in ein Café setzen und die Zeitung lesen. Fröhlichen Menschen zuschauen. Ein Eiskaffee. Oder eine Joghurtglace?

In geselliger Runde unter Bäumen sitzen. Unendlich lange Abende draussen verbringen, den westlichen Horizont im Blick. Sich von einem Buch entführen lassen, abdriften. Über Karten brüten, Pläne machen. Freunde einladen, zuhören, reden, schweigen.

Oder einfach wieder mal in den Zug steigen, weg, in eine fast, aber nie ganz vergessene Gegend. Einen Abstecher über die Landesgrenze wagen, ein paar Euro im Sack. Durch Pärke von Schlössern schlendern.

Sich einen Ruck geben und morgens um fünf in den Wald. Die kleinen Vögel grüssen, den lärmenden Specht in der Höhe suchen. Vom Waldrand aus Rehe beobachten. Dann der lange Aufstieg bis zur Jurakrete. Am nächsten Tag schwimmen im See. Stundenlang dem Fluss entlangwandern.

Geruch und Geschmack von Erdbeeren, Himbeeren. Die Farben der Johannisbeeren, Kirschen, Aprikosen. Ein Sommerfest besuchen mit Musik aus andern Welten und andern Zeiten. Die Kühle eines Kirchenraums. Barfuss durch den Tau im Gras. Und immer wieder unter Bäumen sitzen.

Ja, Sommer! Können wir ihn dieses Jahr auskosten? Vieles war uns von März bis Juni verwehrt, im Zeichen von Corona. Nicht nur aus bravem Gehorsam, auch aus eigener Einsicht haben wir uns ein Stück weit eingeschlossen, unseren Lebenskreis eingeschränkt, auf Ausflüge und Begegnungen verzichtet. Schätzen wir jetzt, nach dieser Erfahrung, unsere kleinen und grossen Freiheiten wieder mehr?

Wie es aussieht, haben die Einschränkungen ihr Ziel erreicht, die Gefahr ist kleiner geworden. Für den Moment haben wir anscheinend das Schlimmste überstanden. Vorsichtig zu bleiben ist ratsam. Aber jetzt ist Zeit zum Dure­schnuufe. Bewegung, frische Luft, etwas unternehmen, Geselligkeit, all das macht fit. Niemand wünscht sich die Coronazeit zurück. Aber ein Polster an Sommerfreuden macht uns stark, um uns auch von einer zweiten Welle, wenn sie denn käme, nicht umhauen zu lassen.

Christian von Arx