Seelsorge im Alter ist ein Geben und Nehmen – bereichernd und befruchtend für beide Seiten. | © Norbert W. Saul
Seelsorge im Alter ist ein Geben und Nehmen – bereichernd und befruchtend für beide Seiten. | © Norbert W. Saul
20.04.2023 – Aktuell

«Seelsorge im Alter ist eine Kernaufgabe der Kirchen»

Im Kanton Baselland startet im Mai eine gross angelegte Befragung der Über-65-Jährigen

Mit einer Umfrage bei 5000 Personen ab 65 Jahren tritt das ökumenische Projekt «Seelsorge im Alter» im Mai erstmals an die Öffentlichkeit. Die reformierte und die römisch-katholische Landeskirche Baselland packen die zukünftige seelsorgliche Begleitung der Betagten gemeinsam an.

67’500 Frauen und Männer ab 65 leben aktuell im Kanton Baselland. 5000 zufällig Ausgewählte von ihnen werden Anfang Mai von den Kirchen und der Fachhochschule Nordwestschweiz Post bekommen. In dem Brief werden sie eingeladen, an einer Befragung zu ihren Bedürfnissen nach seelsorglicher und spiritueller Begleitung teilzunehmen. Die Kirchen möchten die Erwartungen kennen. Was wird gewünscht: Zum Beispiel Gespräche über Sinn- und Schicksalsfragen? Über Alleinsein und Einsamkeit? Oder Möglichkeiten, andere Menschen zu treffen?

Die Befragung kann grundsätzlich online am Computer oder am Handy ausgefüllt werden. Aber wer es lieber handfest hat, kann auch ein Formular auf Papier ausfüllen und zurückschicken. Wichtig für ein aussagekräftiges Ergebnis ist, dass möglichst viele der angeschriebenen Über-65-Jährigen mitmachen und ihre Antworten geben.

Antworten sollen den Bedarf zeigen

Befragt werden nicht nur Privatpersonen, sondern – mit anderen Fragebogen – auch die professionellen Institutionen im Umfeld der Altersseelsorge und spirituellen Begleitung in Baselland: Heime und Spitex, ebenso die katholischen Pfarreien und reformierten Kirchgemeinden. Ihnen werden spezifische Fragen zum Ist-Zustand gestellt: Was wird heute an seelsorglicher, spiritueller und sozialer Begleitung geleistet? Was wäre eigentlich erwünscht, wird aber bisher nicht gemacht – und warum nicht?

Die vier Befragungen werden im Auftrag der beiden Baselbieter Landeskirchen im Mai von der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW durchgeführt und anschliessend im Juni/Juli ausgewertet. Die Ergebnisse werden im August/September präsentiert.

Die Projektleitung liegt auf katholischer Seite bei Verena Gauthier Furrer, Fachverantwortliche Diakonie im Pastoralen Zentrum Katholisch BL in Liestal, und auf reformierter Seite bei Cornelia Hof-Sippl, Vizepräsidentin und verantwortliche Kirchenrätin des Departements Diakonie und Spezialseelsorge der Evangelisch-reformierten Kirche Baselland. Sie erwarten von der Befragung ein aussagekräftiges Bild, wo der Bedarf an Seelsorge im Alter liegt und wo Heime und Spitex, aber auch die Pfarreien und Kirchgemeinden Unterstützung brauchen. «Wir wollen dort Fragen stellen, wo bis jetzt keine Fragen gestellt worden sind», sagt Verena Gauthier im Gespräch mit «Kirche heute». Ihres Wissens gab es in der Schweiz noch keine solche Erhebung zur Seelsorge im Alter. Die Resultate dürften also auch in anderen Kantonen auf Interesse stossen.

Ein Konzept für den ganzen Kanton

Die Befragung wird der Projektleitung eine Grundlage liefern, um ein auf die konkreten Verhältnisse im Kanton Baselland ausgerichtetes Konzept für die zukünftige Seelsorge und spirituelle Begleitung im Alter zu erarbeiten. In einem breit zusammengesetzten Begleitgremium («Soundingboard») ist das Projekt schon jetzt mit massgeblichen Anbietern und Institutionen der Betreuung im Alter vernetzt, darunter auch mit der Abteilung Alter im Amt für Gesundheit des Kantons Baselland. Das Konzept wird wiederum den Kirchenräten und den Synoden der beiden Landeskirchen vorgelegt. Was sie beschliessen, soll – so der Zeitplan – ab 2025 umgesetzt werden.

Für die Projektleiterinnen ist klar: «Seelsorge und spirituelle Begleitung im Alter ist eine Kernaufgabe der Kirchen.» Ziel des Projekts ist eine Verstärkung des Angebots in diesem Bereich. Denn die Aufgabe ist grösser als das, was Pfarreien, Pastoralräume und Kirchgemeinden mit ihren eigenen Kräften zu leisten vermögen. Zum Beispiel lebt heute ein sehr grosser Teil der Betagten bis ins hohe Alter zuhause. Seelsorge heisst auch, dass diese Menschen nicht vereinsamen, sondern über das reden können, was ihnen wichtig ist. Dabei wird auch in Zukunft vieles von den Angehörigen abhängen. Ziel ist, die Angehörigen und das Pflegepersonal (Spitex und Heime) ebenfalls im Fokus zu haben, wenn es darum geht, seelsorgliche Unterstützungsangebote zu planen. Denn auch sie sind oft allein mit ihren Fragen.

Unabhängig von Konfession und Religion

Das Projekt der beiden Landeskirchen war von Anfang an ökumenisch angelegt. «Unsere Kräfte zu bündeln ist nötig, damit das Angebot der Seelsorge im Alter breit abgestützt, nachhaltig und konstant ist», unterstreichen Cornelia Hof und Verena Gauthier.

Das Projekt nimmt zudem nicht nur die Angehörigen der eigenen Konfessionen in den Blick. Sowohl die Befragung als auch das zukünftige Konzept richten sich an alle Menschen ab 65, an die Angehörigen anderer Religionen und ebenso an diejenigen, die sich zu keiner Religion bekennen. Das entspricht dem eigenen Kirchenverständnis: «Kirche ist für alle Menschen da», betont Verena Gauthier. Cornelia Hof fügt bei: «Seelsorge und spirituelle Begleitung im Alter ist ein gesellschaftlicher Auftrag, den die Kirchen wahrnehmen. Dafür erhalten die Landeskirchen in Baselland Kirchensteuern der juristischen Personen.» Diese Mittel seien zugunsten aller Menschen einzusetzen, nicht allein für Kirchenmitglieder.

Es braucht Professionelle und Freiwillige

Haben die Kirchen auch genügend professionelles Personal für eine verstärkte Seelsorge und spirituelle Begleitung im Alter? «Es ist unmöglich, die Arbeit ausschliesslich mit Theologinnen und Theologen zu leisten», erklären Verena Gauthier und Cornelia Hof. Es brauche auch Sozialarbeitende, Sozialdiakone/innen sowie kirchliche Begleitdienste. Spiritual Care könne auch durch Pflegende mit entsprechender Weiterbildung erbracht werden. «Es gilt, kreativ zu sein.» Aber: «Wenn der ausdrückliche Wunsch nach einem Theologen oder einer Theologin da ist, dann sollten die Kirchen dazu bereit sein.» Freiwillige werden in der Seelsorge und spirituellen Begleitung im Alter auch in Zukunft eine grosse Rolle spielen. Das sei aber nicht billiger, betont Verena Gauthier: «Freiwillige brauchen Schulung und professionelle Begleitung. Da müssen die Kirchen investieren.»

Christian von Arx

Gegen die Vereinsamung: Seelsorge im Alter möchte den Menschen dort abholen, wo er ist. | © Norbert W. Saul