Sänger/innen des von Sandra Rupp Fischer geleiteten Marienchors auf der Empore der Marienkirche Olten in der Lockdown-Zeit.
| © Martin Hug
Sänger/innen des von Sandra Rupp Fischer geleiteten Marienchors auf der Empore der Marienkirche Olten in der Lockdown-Zeit. | © Martin Hug
05.11.2020 – Aktuell

«Das Singen hätte eine grosse Welle an Wertschätzung nötig»

Cantars-Leiterin Sandra Rupp Fischer befürchtet, dass Chöre sterben

Der Bundesrat hat am 28. Oktober entschieden: Laienchöre dürfen weder auftreten noch proben, während Profichöre immerhin noch Proben abhalten dürfen. Sandra Rupp Fischer, die Leiterin der Kirchenklangfeste Cantars, ist gar nicht zufrieden.

Was bedeutet der Entscheid für die Kirchenchöre in der Schweiz?

Sandra Rupp Fischer*: Dies ist ein riesiger Frust. Gerade die Kirchenchöre haben sich intensiv mit den Schutzkonzepten auseinandergesetzt und die räumlichen Möglichkeiten in Kirchen und Pfarrsälen optimal genutzt, um keine Risiken einzugehen. Man ist sich in der Wissenschaft auch nicht einig, was das Singen in Bezug auf die Verbreitung des Coronavirus bewirkt.

Neuere Studien zeigen sogar auf, dass beim Singen nicht mehr Tröpfchen und Aerosole ausgestossen werden als beim Sprechen. Und zwischen singenden Laien und Profis gibt es wohl schon gar keine Unterschiede diesbezüglich. Das Singen hätte eine grosse Welle an Wertschätzung nötig. Zum Beispiel müsste man darüber berichten, welche sozialen oder gesundheitsfördernden Aspekte sich durch das Singen freisetzen. Nur gerade das Singen zu verbieten – und alle anderen Vereins- und Freizeitaktivitäten in unserem Land mit 15 Personen und Schutzauflagen weiterzuführen–, kann ja keine Lösung sein. Der Entscheid ist für mich unverständlich.

Was können Kirchenmusiker jetzt machen?

Einmal mehr ist jetzt Kreativität gefragt. Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker können sich überlegen: Welche Alternativen gibt es? Eine Möglichkeit bestünde darin, mit Chorleuten instrumental zu arbeiten. In jedem Chor gibt es Mitglieder, die bereits ein Instrument spielen und somit zusammen musizieren können. Die anderen könnte man in die Instrumentalmusik einführen: Sie könnten etwa auf der Gitarre Lieder begleiten, Grundlagen des Flötenspiels erlernen oder ein Perkussionsensemble bilden. Damit könnte man den Fokus auf Musiktheorie legen. Sängerinnen und Sänger können ihre Kompetenzen im Notenlesen und ihre rhythmischen Fähigkeiten stärken.

Denken Sie auch an Open-Air-Szenarien?

Das wäre auch eine Alternative. Leider stehen nun aber die kalten Monate bevor und die Einschränkungen im öffentlichen Raum sind ja auch gegeben. Im Kanton Solothurn liegt die Grenze bei fünf Personen, im Indoorbereich ist sie bei 15 Personen.

Wie alt sind die Schweizer Kirchenchöre im Durchschnitt?

Das kann ich nicht sagen. Sicher ist, dass viele Senioren in Chören mitsingen. Dies betrifft jedoch die Erwachsenenchorszene in der Schweiz etwa gleich, auch gemischte Chöre und Männerchöre.

Wie viele Chöre werden sterben, weil ein regelmässiges Chorleben unmöglich geworden ist?

Es ist anzunehmen, dass nicht alle Chöre die Krise überleben werden.

Machen Sie sich diesbezüglich grosse Sorgen?

Ja, das beschäftigt uns Chorleitende. Krisen bergen aber auch Chancen. Wer weiss, wo lang es geht, wenn die Krise überstanden ist und das Singen sich rehabilitiert hat.

Nehmen Menschen jetzt den erzwungenen Unterbruch zum Anlass, mit dem Singen aufzuhören?

Das ist möglich. In meinem Chor gibt es Sängerinnen und Sänger jeden Alters, die seit dem Lockdown nicht mehr an Proben und Einsätzen teilnahmen. Es ist möglich, dass sie sich in der Zwischenzeit an einen Alltag ohne Singen gewöhnt haben und nicht mehr zurückkommen wollen, was sehr traurig wäre. Erfreulicherweise gibt es aber auch neue Gesichter in unserem Kreis, weil sie gerade in der Krise mit anderen Menschen singen möchten.

Interview: Barbara Ludwig, kath.ch

 

* Sandra Rupp Fischer leitet den Marienchor Olten und ist unter anderem Schulleiterin der Musikschule Olten sowie Projektleiterin des Kirchenklangfests Cantars (2011, 2015 und 2021).