Im Dialog mit dem Publikum (v.l.): Rolf Weder, Elisabeth Schneider, Lukas Zapf und Béatrice Bowald. (Foto: Regula Vogt-Kohler)
Im Dialog mit dem Publikum (v.l.): Rolf Weder, Elisabeth Schneider, Lukas Zapf und Béatrice Bowald. (Foto: Regula Vogt-Kohler)
19.05.2018 – Hintergrund

Weder Gott noch Teufel

Plädoyer für einen aufgeklärten Marktbegriff

«Der Markt existiert nicht» – der Titel des Werks von Lucas Zapf und Peter Seele erwies sich an einer Buchbesprechung als erklärungsbedürftige Provokation. Problematisch werde es, wenn der Markt ein Eigenleben entwickle und eine gottähnliche Form annehme, sagte Zapf.

«Der Markt hat uns dazu gezwungen» – Sätze wie dieser sind Standard, wenn ein Unternehmen Negatives zu berichten hat. Diese Verwendung des Begriffs suggeriert, dass mit Markt mehr als einfach nur die Abwicklung eines Tausches gemeint ist. Eine solche Aufladung des Marktes führe zu problematischen Ergebnissen, machte Lucas Zapf in einer kurzen Präsentation seines Buches geltend.

Die Vergöttlichung des Marktes hat aus der Sicht von Zapf mit Adam Smith, dem Begründer der klassischen Nationalökonomie, begonnen. Der Markt erscheint in «Der Wohlstand der Nationen» als positives Mittel zum Zweck, sozialen Nutzen zu stiften. Smiths berühmte «unsichtbare Hand» legt gar etwas Göttliches nahe.
Die positive Aufladung des Begriffs habe dazu geführt, dass der Markt geschützt werde und sich als positives Leitmotiv verfestige. Die Folge: Der Markt wird zur Universallösung, auch ausserhalb der Wirtschaft. Als Beispiel nannte Zapf die Religion. Christliche Kirchen versuchen sich durch die Gestaltung ihres Angebots gegen den Mitgliederschwund zu wehren. Das Problem: Wie kann eine Kirche definieren, was ihr Produkt ist? Oder die Einwohnerkontrolle, die als Kundenzentrum auftritt: Ist man nicht eher Staatsbürger als Kunde, wenn man seinen Pass erneuern muss?

Vollends problematisch werde es dann, wenn der Markt ins Böse kippe und sich von der Gesellschaft entkopple. Wer die Formulierung «Der Markt hat uns dazu gezwungen» verwende, missbrauche den Markt als Schutzschild und delegiere die Verantwortung, sagte Zapf. Ein weiteres wirtschaftsethisches Problem bestehe darin, dass ein so verstandener Markt resistent gegen Veränderung sei. Der Markt sollte deshalb entzaubert und auf das reduziert werden, was er ist: eine Technik, um den Tausch zu organisieren.

Wirtschaftswissenschafter Rolf Weder und Elisabeth Schneider, Baselbieter CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Handelskammer beider Basel, konnten mit Zapfs These wenig anfangen. Sie verhehlten zwar nicht, dass der Markt problematische Seiten haben kann, doch plädierten beide dafür, ihn nicht zu verteufeln. Aus Weders Sicht ist es zuweilen auch die Politik, die versagt, indem sie sich nicht zu den notwendigen Regulierungen durchringen kann. Schneider zeigte sich mit Weder darin einig, dass es internationale Standards brauche, sie warnte aber vor einem imperialistischen Vorgehen. «Wir gehen als Missionare durch die Welt, dabei haben wir den grössten ökologischen Fussabdruck», sagte sie.

Aus der Sicht von Moderatorin Béatrice Bowald, Co-Leiterin des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft, muss die Rücksichtnahme auf lokale Kulturen Grenzen haben. Das Beispiel der Textilproduktion in Bangladesch zeigt, wie schwierig das in der Praxis ist. «Lassen Sie uns die Fabriken, sonst muss ich ­meine Tochter mit 12 verheiraten!», habe ein Vater ihr gesagt, berichtete Nationalrätin Schneider.

Regula Vogt-Kohler