20.02.2020 – Editorial

Offene Punkte, offene Türen

Ein Liebesbrief an Amazonien, der in zentralen Punkten Fragen offen lässt. Das ist die Kurzfassung des rund 50-seitigen Schreibens, das Papst Franziskus im Nachgang der Amazonassynode verfasst und am 12. Februar zusammen mit dem Schlussdokument der Versammlung präsentiert hat.

Je nach Sicht der Dinge geht es um wesentlich mehr als die einigermassen neutrale Feststellung, dass es nicht auf alle Fragen, mit denen sich die Synode im Oktober 2019 beschäftigt hat, Antworten gibt. Und wenn keine Antwort, dann wenigstens die explizite Erwähnung der Frage. So sucht man im päpstlichen Text vergeblich nach der von der Synode erhobenen Forderung für eine Lockerung des Zölibats.
Wie soll man das verstehen?

Die Reaktionen auf «Querida Amazonia» zeigen, dass es sehr unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten gibt. Das liegt ebenso am Schreiben selbst wie an den Lesenden. Wer auf die Revolution in der Ämterfrage gehofft hat, kann nicht anders als enttäuscht sein. Enttäuscht und desillusioniert. Und man ist vermutlich nicht allein, wenn man angesichts des Notstands der priesterlichen Versorgung am Amazonas doch wenigstens mit Ausnahmeregelungen gerechnet hat. Auch diese Erwartung erfüllt Franziskus nicht.

Die Enttäuschung sollte aber nicht den Blick verstellen. Eine Hilfe ist dabei der Kommentar von Felix Gmür, Basler Bischof und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Papst Franziskus denke nicht von den Ämtern her, sondern entwickle die Vision einer inkulturierten Kirche, die das Soziale besser mit dem Geistlichen verbinden könne. Als möglichen Grund für das Schweigen des Papstes zur Weihe von verheirateten Männern zu Priestern und von Diakoninnen kann sich Gmür vorstellen, dass Franziskus das Wesen der Weihe von der Machtfrage entkoppeln wolle.

Die inkulturierte Kirche ist die Absage an ein von der römischen Zentrale diktiertes Einheitsbild ohne lokale Züge. Gmür sagt es im ­Interview mit SRF 4 so: «Wir brauchen die Inkulturation des Christentums in unserem Land, und das ist eine andere als zum Beispiel in Amazonien.» Eine inkulturierte Kirche, die sich an den Wirklichkeiten vor Ort orientiert, schafft Raum für neue Wege. Eines ist das päpstliche Schweigen nämlich nicht: ein Nein, das alle Türen zuschlägt. Felix Gmür formuliert es so: «Traum und Vision sind nicht das Ende, sondern der Anfang eines Prozesses, dessen Resultate nicht zum vorneherein feststehen.»

Regula Vogt-Kohler