Blockade des Osterverkehrs Richtung Süden vor dem Gotthardtunnel der A2 bei Göschenen am Karfreitag, 7. April, durch sieben Klimaaktivisten von 19 bis 64 Jahren. | © Renovate Switzerland
Blockade des Osterverkehrs Richtung Süden vor dem Gotthardtunnel der A2 bei Göschenen am Karfreitag, 7. April, durch sieben Klimaaktivisten von 19 bis 64 Jahren. | © Renovate Switzerland
01.06.2023 – Impuls

Zweiter Brief an Timotheus 4,2–3

Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung. Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln.

Einheitsübersetzung 1980

 

Ob man es hören will oder nicht

Im Drama «Der Richter von Zalamea» von Pedro Calderón de la Barca verurteilt ein kleiner Dorfrichter einen adeligen Vergewaltiger. Obwohl er bei diesem Gerichtsverfahren seine Kompetenzen weit überschritten hat, gesteht ihm der König zu, dass wer im Grossen Recht hat, sich im Kleinen irren darf.

Ob das auch für die «Klimakleber» gelten mag, die sich seit einiger Zeit in den Städten verschiedenster Länder auf die Strasse kleben? Auf diese drastische Art und Weise versuchen sie auf die ebenso drastischen Veränderungen des weltweiten Klimas aufmerksam zu machen: An den Polen schmelzen den Eisbären die Schollen unter den Pfoten und den Pinguinen die Nistplätze weg, in den Kornkammern Italiens und Spaniens vernichtet die Dürre Ernten und Existenzen, und im Pazifik frisst der steigende Meeresspiegel manchen Inselbewohnern Land, Heimat und Lebensgrundlage weg, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Diese Tatsachen sind den Klimaklebern dramatisch genug, um uns, um die Welt mit dramatischen Aktionen wachzurütteln. Längst sind es nicht mehr nur junge Menschen, die sich angesichts der raschen Klimaveränderung schon als «letzte Generation» sehen, sondern besorgte Menschen jeden Alters, die mit ihren Aktionen halbe Städte lahmlegen. Nichts weniger als die akute Bedrohung des Lebens treibt sie an und die Tatsache, dass die Gesellschaft nicht oder kaum darauf reagiert.

Dass jetzt und schnell gehandelt werden muss, ist eine Botschaft, die den Ohren nicht «schmeichelt». Zu einschneidend sind die Folgen, und zu viel Selbstverständliches in unserem Alltagsleben wird in Frage gestellt. Weil sie den Eindruck haben, dass man ihre Not nicht hören will, greifen die Aktivisten zu Mitteln, die nicht übersehen werden können. Einige Reaktionen der durch solche Aktionen Ausgebremsten und Blockierten sind dann auch sehr heftig. Gerade deshalb weckt die Hartnäckigkeit der Festgeklebten auch Respekt und vermag manche Betrachter zu beschämen.

Könnte auch hier das Wort gelten, dass die Grösse des Anliegens die Fehler relativiert und entschuldigt? Seit im letzten Oktober in Berlin ein Rettungswagen im durch Klimakleber verursachten Verkehrsstau blockiert blieb und verspätet bei einer schwer verletzten Radfahrerin eintraf, haben die Klimakleber wohl ihre Unschuld verloren. Auch sie sitzen im selben Boot wie jene, die bereit sind, ihrer uneingeschränkten persönlichen Mobilität die Lebensvielfalt in der Welt und eine gesunde Umwelt zu opfern.

Wer in den Spuren Jesu geht, weiss, dass nur wer ohne Schuld ist, auch legitimiert sein kann, zu verurteilen und den ersten Stein zu werfen. Wir andern, wir sind gerufen, dem Leben eine Chance zu geben, eindringlich und nachhaltig, damit die Vielfalt des Morgen nicht an unserer Enge im Heute scheitert.

Felix Terrier
Rektor der Klosterkirche Dornach