Wie die Rebe im Weinstock gründet, so sollen wir uns in Gott verankern. | © Wolfgang Heubeck/Pixabay
Wie die Rebe im Weinstock gründet, so sollen wir uns in Gott verankern. | © Wolfgang Heubeck/Pixabay
02.11.2023 – Impuls

 

Johannes 15,1–5

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.

Einheitsübersetzung 2016

 

Möge der Weinstock die Reben festhalten

Vor einigen Jahren hatte ich engeren Kontakt mit dem Zisterzienserkloster Hauterive im Freiburgerland. Mein Kollege aus der Schweizergarde war nach der Gardezeit in diese klösterliche Gemeinschaft eingetreten. Die Mönche leben nach einer strengen benediktinischen Ordensregel und im permanenten Schweigen. Nur an bestimmten Orten oder zu ganz bestimmten Zeiten darf gesprochen werden.

Ich erinnere mich an meine Besuche im Kloster, die meist etwas Eigenartiges an sich hatten: Ich kam mir vor wie in einer anderen Welt, und auch die Mönche und ihr Lebensstil wirkten befremdend.

Ähnlich erging es mir, als ich mich mit der heiligen Gertrud von Helfta auseinandergesetzt habe. Sie lebte im Hohen Mittelalter und wirkte auf mich wie aus einer anderen Welt. Und ehrlich gesagt fällt es mir schwer, an viele ihrer Äusserungen oder sprachlichen Bilder anzudocken. Sie versuchte darin, Gott zu ergründen. Im Kern deutete sie ihn als «amor deus», als «Gott-Liebe», oder als «amator», als «Liebe Habender».

Für die gottesdienstlichen Texte zu Gertruds Gedenktag wurde in meinen Augen ein sehr passendes Evangelium ausgewählt. In der Rede vom Weinstock macht Jesus klar, worauf es im Glauben wirklich ankommt: Wir sollen fest in Gott verankert sein. Wie eine Rebe mit dem Weinstock verbunden ist und von ihm seine Nahrung erhält, so sollen wir mit Gott verbunden sein, damit wir Frucht bringen. Was damit gemeint ist, kommt in den nachfolgenden Versen zum Ausdruck: «Dies ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe!» (Joh 15,12). Gertrud nennt Gott den «Liebe Habenden». Wer also in Gott verwurzelt ist und von ihm gestärkt wirkt, wird als Frucht Gottes Liebe in die Welt tragen.

Nun leben wir in Zeiten, in denen von dieser Liebe nicht viel zu spüren ist. Es scheint, als wäre die Welt von einem bösen Zauber überdeckt. Kriege, Hass und Zerstörung verdecken das Gute. Auch die Kirche selbst ist durch die Missbräuche und andere Skandale am Ende ihrer Kräfte und vermag die Botschaft des liebenden Gottes nicht mehr glaubwürdig zu verkünden. Was können wir als Glaubende unter solchen Umständen noch tun? Wie sollen wir uns verhalten?

Wir müssen uns auf das Wesentliche besinnen! Politischer, auch kirchenpolitischer Aktionismus, Initiativen und Strukturreformen werden uns allein nicht wirklich weiterbringen, solange sie nicht aus einer geistigen Erneuerung und der Verwurzelung in Gott entspringen. Wie die Rebe im Weinstock gründet, so sollen wir uns in Gott verankern. Kürzlich bekam ich vom Kirchenmusiker Christoph Spengler ein Lied zugeschickt, welches diesen Gedanken umkehrt. Das ist tröstend: «Lass mich nicht verzweifeln, wenn mein Glaube wankt, zieh mich zu dir, halt mich an deiner Hand!» Wir können diese Krisen als glaubende Gemeinschaft nur überwinden, wenn wir mit Gott verbunden sind und ihn bitten, dass er es sein möge, der uns zu sich zurückführt, damit wir gute Frucht bringen.

 

In eigener Sache

Mit diesem letzten Beitrag verabschiede ich mich als Impulsautor von meinen Leserinnen und Lesern. Ich danke allen, die mich in den letzten Jahren zum Schreiben ermutigt haben. Ich danke allen, die kritisch nachgefragt und sich zum eigenen Nachdenken haben anregen lassen oder die in anderer Weise auf die Impulse reagiert haben. Ich wünsche Ihnen allen viel Gutes und Gottes Segen!

Mathias Jäggi, Theologe, Sozialarbeiter und Berufsschullehrer