Der frühere Erzbischof Robert Zollitsch vor der Segenspforte des Freiburger Münsters nach dem Weihnachtsgottesdienst am 25. Dezember 2011. | © Wici/wikimedia
Der frühere Erzbischof Robert Zollitsch vor der Segenspforte des Freiburger Münsters nach dem Weihnachtsgottesdienst am 25. Dezember 2011. | © Wici/wikimedia
24.04.2023 – Aktuell

Systematisches Vertuschen

Missbrauch im Erzbistum Freiburg: Schwere Vorwürfe an früheren Erzbischof Robert Zollitsch

Ein Bericht zum Umgang der deutschen Erzdiözese Freiburg mit Fällen sexualisierter Gewalt belastet die frühere Bistumsleitung schwer. Der amtierende Erzbischof Stephan Burger zeigte sich über das Fehlverhalten seiner Vorgänger fassungslos.

Der knapp 600 Seiten starke Abschlussbericht der Arbeitsgruppe «Machtstrukturen und Aktenanalyse» zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der deutschen Erzdiözese Freiburg ist nicht nur umfangmässig «dicke Post». Die am 18. April der Öffentlichkeit vorgestellte Studie wirft den früheren Erzbischöfen Oskar Saier (Amtszeit: 1978-2002) und Robert Zollitsch (2003-2013) ein systematisches Vertuschungsverhalten vor.

Auch der 2010 publik gewordene Missbrauchsskandal vermochte an dieser auf Schutz der Täter ausgerichteten Strategie nichts zu verändern. Der von externen Fachleuten aus Justiz und Kriminalpolizei erarbeitete Bericht kommt zum Schluss, dass Äusserungen von Zollitsch, welche eine vordergründig einsichtig erscheinende Befassung mit der Thematik erkennen liessen, nur Fassade gewesen seien. Eine konkrete und konsequente Umsetzung in der Realität sei nicht erfolgt.

Kirchliches Recht ignoriert

Die beiden früheren Erzbischöfe liessen sich auch durch kirchliches Recht nicht beirren. Dazu heisst es im Bericht: «Die Untersuchungen haben ergeben, dass Erzbischof Dr. Zollitsch – ganz in der Tradition seines Amtsvorgängers Dr. Saier – bis in das Jahr 2013 hinein – die im kodikarischen und ausserkodikarischen Recht für Fälle eines mutmasslichen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker vorgegebenen Normen ignoriert hat; in Teilbereichen galt dies auch für die eigenen diözesanen Leitlinien.» Das Kirchenrecht habe für Zollitsch prinzipiell keine Bedeutung gehabt, vor allem nicht der Bereich des kirchlichen Strafrechts, zitiert der Bericht eine Führungsperson. So meldete Freiburg in der Ära Zollitsch der vatikanischen Glaubenskongregation keinen einzigen Fall, obwohl dies ab Ende 2001 Pflicht gewesen wäre.

Hätte dies der Glaubenskongregation angesichts der Meldungen aus anderen Bistümern nicht auffallen müssen? Der Bericht geht davon aus, dass es «eher fernliegend» sei, dass die jahrelange ausnahmslose Nullbilanz der Erzdiözese Freiburg zur Gänze unbemerkt geblieben sein konnte, zumal im fraglichen Zeitraum mit Joseph Ratzinger und Gerhard Ludwig Müller zwei von insgesamt drei Präfekten Deutsche waren.

Falsch verstandener Korpsgeist

Nun ist das Fehlverhalten von Zollitsch zum Fall in Rom geworden. Sein Nachfolger Stephan Burger hat kirchenrechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet. Der amtierende Erzbischof selbst kommt in der Untersuchung gut weg. Es sei eine erhebliche Verbesserung in der Bearbeitung von Missbrauchsbeschuldigungen gegen Kleriker erkennbar geworden, und insbesondere gebe es keine Hinweise auf Vertuschung, heisst es im Bericht.

Burger zeigte sich bei der Präsentation des Berichts fassungslos über das Verhalten seiner beiden Vorgänger. «Beide wussten um die Bedeutung sowie um die rechtliche Relevanz der Thematik. Dahinter stand ein nach heutiger Sicht falsch verstandener Korpsgeist», sagte Burger. Der Blick für die Opfer habe zunächst zur Gänze gefehlt. Das wichtigste Ergebnis des Berichts sei, dass er schonungslos aufdecke, welche fatalen Folgen es hat, wenn Macht und Entscheidungsgewalt in den Händen weniger liegt – einer kleinen, verschworenen Gruppe, hielt Burger gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA fest.

Stimmen zum Bericht

«Der Bericht offenbart, was die Kirche unter der Führung von Zollitsch war: ein Schutzraum für Täter, eine Hölle für Kinder, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren und keine Hilfe erhalten haben», heisst es in einer Stellungnahme des Betroffenenbeirats Freiburg. «Das Wohlergehen der Priester und das Ansehen der Kirche standen über dem Wohl der Kinder. Missbrauch wurde nicht geahndet, Täter wurden vielfach schlicht in den Ruhestand oder an andere Orte versetzt und haben dort teilweise weiter Kinder missbraucht.» Als Konsequenzen fordert der Betroffenenbeirat unter anderem, dass für die Zukunft die hierarchischen Machtstrukturen demokratisiert, Verantwortung geteilt und Kontrollinstrumente eingeführt werden. Zudem erwartet der Betroffenenbeirat, dass die Rolle der Deutschen Bischofskonferenz und der Glaubenskongregation überprüft wird.

Erschreckend sei «die völlige Ignoranz von Zollitsch, der als einer der dienstältesten Personalchefs schlimmste Missbrauchsfälle gedeckt und Täter geschützt hat», sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller dem «RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)». Es sei beschämend zu sehen, sagt er, wie Zollitsch Missbrauchstäter gedeckt habe, «aber das Kirchenrecht mit aller Härte bei einvernehmlichen Beziehungen mit erwachsenen Frauen gegen die Priester angewendet hat».

«Der Bericht zeigt ganz deutlich, wie wichtig ein Schutzkonzept mit unabhängigen, externen Stellen ist, an welche sich Opfer, Vertrauenspersonen, Mitwissende, Zeugen und beschuldigte Personen nach einer mutmasslichen Tat und im Verdachtsfall direkt wenden können», sagt Sieglinde Kliemen, Präventionsbeauftragte des Bistums Basel, auf Anfrage von kath.ch.

«Ich bin wirklich entsetzt. Vor allem, weil Erzbischof Robert Zollitsch auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war», sagt Felix Gmür, Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz in einem Interview mit kath.ch. Auf die Frage, ob er sich davor fürchte, was im Bistum Basel ans Licht kommen könnte, sagte er: «Man muss der Realität ins Auge blicken. Ich glaube nicht, dass diese viel schlechter oder viel besser ist als anderswo. Im Bistum Basel werden ähnliche Ausmasse und Strategien ans Licht kommen wie auch in anderen Bistümern. Ich weiss noch nicht, welchen Zeitraum die Pilotstudie beleuchten wird. Das bestimmen die Historikerinnen und Historiker.» Er selber habe alles mit bestem Wissen und Gewissen getan.

Regula Vogt-Kohler