21.09.2023 – Editorial

Macht und Missbrauch

Ein Tennistalent, das zur Beute des Trainers wurde. Ein Internat für Buben, wo sexuelle und andere Misshandlungen an der Tagesordnung waren. Die Schweizer Pilotstudie zu sexuellen Übergriffen in der römisch-katholischen Kirche. Die Meldungen über sexuellen Missbrauch erreichen uns aus allen Ecken der Welt und den unterschiedlichsten Lebensbereichen.

Die Gemeinsamkeiten sind unübersehbar. So gilt das Fazit des Berichts über die Dilworth-Schule im neuseeländischen Auckland auch für andere Institutionen, in denen es zu sexuellem Missbrauch kam. Das anhaltende Schweigen und die Entschlossenheit, den Ruf der Schule zu schützen, habe die Fortsetzung des Missbrauchs ermöglicht, heisst es da.

Ob Nachwuchssportlerin und Trainer, Lehrer und Schüler oder Priester und Ministrant: In all diesen Fällen besteht zwischen Tätern und Betroffenen ein Machtgefälle, das für die sexuellen Übergriffe ausgenutzt wird. «Obwohl Macht nicht automatisch zu Missbrauch führt, ist Missbrauch ohne Macht undenkbar», heisst es im Bericht zum Schweizer Pilotprojekt.

Im Umfeld der römisch-katholischen Kirche kommen Besonderheiten dazu. Die Studie spricht für Priester und Bischöfe von einer «sozialen, politischen, juristischen und ökonomischen Machtballung in einer Person», zu der auch noch eine spirituelle Dimension kommt. «Spiritueller Missbrauch bedeutet für Betroffene nicht nur einen schweren Eingriff in die physische Integrität, sondern auch in das psychische und religiöse Grundvertrauen.»

Regula Vogt-Kohler