Jalil und Khadije haben mit ihren sieben Kindern Unterschlupf in einem leerstehenden Haus gefunden. © Hasan Bilal
Jalil und Khadije haben mit ihren sieben Kindern Unterschlupf in einem leerstehenden Haus gefunden. © Hasan Bilal
24.11.2023 – Aktuell

Leben in den Ruinen von Aleppo

Die Zivilbevölkerung in Syrien leidet unter dem anhaltenden Krieg und der wachsenden Armut

Die Kämpfe in Syrien finden kein Ende. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Kosten des täglichen Lebens explodieren. Die meisten Familien wissen kaum, wie sie überleben sollen, und sind auf Unterstützung angewiesen.

Zum Verstecken spielen sind die Ruinen von Jabal Bedro, einem Viertel von Aleppo, grossartig. Manal und ihre Geschwister verbringen Stunden in den zerbombten Häusern. Sie hoffen, dass sie hinter den Betontrümmern nicht entdeckt werden, und suchen Sichtschutz neben eingestürzten Treppenabsätzen. Kaum aufgespürt, rennen sie lachend zurück zum Ausgangspunkt. Zum Spielen sind die Ruinen ein Traum – zum Leben ein Albtraum.

In diesem Stadtteil von Aleppo tobte der Krieg vier Jahre lang besonders stark. Inzwischen wird hier nicht mehr geschossen, die Gebäude sind von Minen geräumt und immer mehr Menschen suchen wieder Lebensraum in diesem unwirtlichen Quartier.

Zu ihnen gehören auch Manals Eltern, ihr Vater Jalil und seine Frau Khadije. Die neunköpfige Familie ist in eines der leerstehenden Häuser am Rand von Jabal Bedro gezogen. Wem das Haus – oder vielmehr der beschädigte Rohbau – gehört, wissen sie nicht. Wenn sich der Besitzer meldet, müssen sie weiterziehen. Der nicht endende Krieg in Syrien hat sie schon öfters dazu gezwungen, alles aufzugeben.

Falls es dort, wo sie jetzt wohnen, einmal Fenster gegeben hat, sind sie alle zerborsten. Fensterrahmen, Türen, Möbel: Alles wurde von irgendwem gestohlen, verkauft oder als Heizmaterial verbrannt. Ausser den nackten Mauern ist nichts übriggeblieben. «Aber das ist immer noch besser, als kein Dach über dem Kopf zu haben», konstatiert Jalil nüchtern.

Bildung als Weg in eine bessere Zukunft

Vielleicht geht die 13-jährige Manal deswegen so gern zur Schule, weil die Wände dort bunt bemalt sind. Weil es dort fliessendes Wasser gibt und funktionierende Sanitäranlagen. Weil sie spannende Geschichten hört, Englisch lernt, lustige Lieder singt und manchmal Süssigkeiten kriegt. Weil sie für den Unterricht neue Kleidung und eine Schultasche in heiteren Farben bekommen hat.

Manal ist eines von 250 Kindern, die in Jabal Bedro in diesem Semester durch die Caritas Stützunterricht erhalten. In ganz Syrien sind es seit Januar 2023 fast 2000 Kinder. Der Kurs richtet sich an Mädchen und Jungen aus besonders bedürftigen Familien. Jeden Tag stehen neben Sport und Spielen die Fächer Arabisch, Englisch und Mathematik auf dem Programm. Die Schülerinnen und Schüler haben die Chance, das Klassenziel trotz widriger Lebensumstände zu erreichen. Ein erster Schritt in eine bessere Zukunft.

Die Familien erhalten darüber hinaus während sechs Monaten kleine Bargeldsummen, um kaufen zu können, was ihnen besonders wichtig erscheint. Für die einen sind das Matratzen und Decken, andere bezahlen damit Geld zurück, das sie sich irgendwo geliehen haben, dritte besorgen Medikamente oder Kleidung. Jalil und Khadije wissen noch nicht genau, wofür sie das Geld verwenden wollen. «Uns fehlt alles, wir müssen gut nachdenken, was wir am dringendsten brauchen», erzählen sie.

Leben am Existenzminimum

Wenn man sich in den von ihnen bewohnten Zimmern umsieht, sieht man nichts. Keinen Teppich, keine Stühle, keinen Wickeltisch. Strom gibt es in ihrem Haus genauso wenig wie einen Wasseranschluss. Als Herd fungiert eine kleine Feuerstelle unter freiem Himmel.

Um die Familie ernähren zu können, nehmen die Eltern jeden Job an, den sie finden. Sie stellen Gemüsepaste her oder streifen spinatähnliches Gemüse von langen Stängeln. Sie verdienen dabei kaum etwas, aber die Stiele lassen sich getrocknet im Winter als Brennmaterial nutzen.

Der 40-jährige Jalil findet keine feste Stelle, er leidet an einer Augenerkrankung. Die 39-jährige Khadije macht den Haushalt, kümmert sich um die Kinder. Manal ist das einzige Mädchen in der Familie und die Einzige, die den Stützunterricht besucht. Dass nur eines der Kinder zur Schule geht, hat viele Gründe, die für Aussenstehende nur schwer nachvollziehbar sind. Aber die Eltern sehen keine andere Möglichkeit.

Die Situation der Zivilbevölkerung in Syrien ist erschütternd. Die Konflikte im Land halten an, die Inflation schwächt die Kaufkraft dramatisch. Das Erdbeben vom Februar 2023 war ein weiterer Schlag für die Region, wirtschaftlich und psychologisch. Die Menschen dort sind am Ende ihrer Kräfte. Sie brauchen weiterhin dringend Unterstützung, damit ihr Leben wieder lebbar wird.

Weitere Informationen und Spendenmöglichkeiten finden Sie unter www.caritas.ch/ja.

Livia Leykauf, Caritas Schweiz