28.05.2020 – Editorial

Komm, Schöpfer Geist

«Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein» ist eines der bekanntesten Pfingstlieder. Der Text geht auf den Hymnus ­«Veni creator spiritus» aus dem 9. Jahrhundert zurück. Aber zurzeit ist unklar, ob die Gläubigen an Pfingsten irgendein Lied singen können, wenn sie erstmals seit zehn Wochen wieder zu einem Gottesdienst zusammenkommen. Die Empfehlung des Bundesamts für Gesundheit wirkt nicht zwingend: «Auf Gemeindegesang ist vorerst zu verzichten …» Auf eine Blitzumfrage unserer Redaktion gingen die Antworten denn auch auseinander: Der eine Pastoralraum findet, der Verzicht auf Gemeindegesang sei äusserst bedauerlich; ein anderer erklärt trocken: «Auf ein Gesangsverbot lassen wir uns nicht ein, unsere Massnahmen sind umfassend genug.»

Zu Recht haben die Kirchen bisher alle staatlichen Vorschriften mitgetragen, die der Vermeidung von Ansteckungen dienen. Das ist auch ein Gebot der Nächstenliebe. Aber: Wie sollen sich die Gläubigen beim Singen mit dem Virus anstecken, wenn sie in zwei Metern Abstand voneinander sitzen oder stehen? Da ist die Schutzwirkung eines Singverbots schwer einzusehen.

Singen tut gut, gemeinsames Singen stärkt. Ein Verzicht auf den Gemeindegesang nimmt den Gottesdiensten einen Teil ihrer heilsamen Wirkung. Da kommt mir das starke Bild aus einem Palmsonntagslied in den Sinn: «Singen wir nicht unserem König, dann singts aus den Steinen.» Mich würde es nicht wundern, wenn es da und dort in den Kirchen an Pfingsten «aus den Steinen singen» sollte …

Seien wir also gespannt auf die Pfingstgottesdienste! Erleichtert nehmen wir zur Kenntnis, dass niemand ausgeschlossen wird, auch nicht die vielen treuen Kirchgänger/innen, die laut den Kriterien des Bundes zur «Risikogruppe» zählen. Zehntausende von Gläubigen im ganzen Land werden dafür dankbar sein. Bedenken wir an Pfingsten auch, dass alle Glaubensgemeinschaften von dem hoffentlich einmalig bleibenden Verbot religiöser Feiern betroffen waren. Es ist ein gutes Zeichen, dass Juden, Christen und Muslime gemeinsam zu Bundesrat Alain Berset gepilgert sind und sich einhellig für einen Termin eingesetzt haben, der als erstes der jüdischen Gemeinschaft das Feiern eines Festes erlaubt. Sie ist die älteste der drei Schwesterreligionen.

Pfingsten ist für Christen das Urbild des Zusammenkommens im Glauben und des völker- und sprachübergreifenden religiösen Feierns. Möge der Pfingstgeist auch hier bei uns wirken – mit Worten, Zeichen, und hoffentlich mit Musik und Gesang.

Christian von Arx