Kleine Zeichen

Keine Schule, keine Arbeit, Angst ums Einkommen. Hausarrest für viele von uns. Keine Restaurant- und keine Konzertbesuche, keine Fussballspiele, keine Reisen über die Grenze. Keine Versammlungen, keine Abstimmungen, keine Parlamentssessionen … Und vor allem: Kein Händedruck, keine Umarmung, kein Besuch! Und ja, auch kein Kirchenchor, kein Palmenbinden zum Palmsonntag, keine Karfreitagsliturgie, keine Osternachtfeier, an denen wir als Pfarrei dabei sein können.

Ist es ein Diktator, der uns zu diesen grausamen Einschränkungen zwingt? Ein Krieg, eine Naturkatastrophe? Nein, ein winzig kleines Virus. Zwischen 60 und 140 Millionstel Millimeter soll das Coronavirus messen, erkennbar nur unter dem Elektronenmikroskop. Kleine Ursache, grosse Wirkung: Wohl noch nie war die Redewendung so treffend.

Unvorstellbar war das alles noch am Anfang dieses Jahres. Seit Mitte März ist es unsere Realität. Was macht das mit uns, wie reagieren wir darauf? Verunsicherung oder Angst sind bei manchen spürbar. Bei den meisten auch Dankbarkeit für diejenigen von uns, die unser Leben weiter möglich machen: Die Angestellten in den Spitälern, in den Lebensmittelgeschäften, in Wasserversorgung und Abwasserreinigung, in der Kehrichtabfuhr … und viele andere mehr. Und überall regen sich Einfallsreichtum und freiwillige Hilfsbereitschaft, im Kleinen wie im Grossen.

Manche von uns zeigen jetzt ein grossartiges Talent, uns mit einem herzlichen Wort im Gespräch, am Telefon oder im Mailverkehr aufzustellen und zu stärken. «Ich weiss, bei dir ist es jetzt auch schwierig – wir sind Verbündete», sagt mir das. Für mich rufen diese Zeichen in Erinnerung, was das Wichtigste ist: An andere denken, sich nahe und verbunden bleiben, helfen, Freude machen. All das, was schon immer das Wichtigste war. Jetzt merken wir es wieder.

Das böse Virus ist klein, aber einmal in eine Körperzelle eingedrungen, vermehrt es sich und wird uns dann in mächtig grosser Zahl gefährlich. So ähnlich stelle ich mir unsere Abwehrreaktion vor: Kleine Zeichen der Verbundenheit, die sich vermehren, indem wir sie untereinander weitergeben. Ich bin sicher, die Wirkung ist gross.

Christian von Arx