23.02.2023 – Editorial

Kinder und Narren

Kann man an einem populären Schlagerfestival über einen Verfassungsartikel reden? Der italienische Schauspieler Roberto Benigni hat es am Festival von Sanremo Anfang Februar vorgeführt. 20 Minuten lang redete er sich in seiner unnachahmlichen Art in die Herzen des Millionenpublikums am Fernsehen. Leidenschaftlich schwärmte er von der Verfassung, mit der Italien 1948 zur demokratischen Republik wurde.

Sein liebster Verfassungsartikel sei der Artikel 21. Er klinge so einfach und schön wie aus einem Kindermund. Benigni rezitierte den ersten Satz dieses Verfassungsartikels wie einen Vers aus Dantes Divina Commedia: «Tutti hanno diritto di manifestare liberamente il proprio pensiero con la parola, lo scritto e ogni altro mezzo di diffusione.»

Warum wurde damals in die Verfassung geschrieben, dass alle das Recht haben, die eigenen Gedanken frei zu äussern? Benigni gab die Antwort: Weil es notwendig war. Weil Italien damals 20 Jahre des Faschismus hinter sich hatte, in denen man seine Meinung nicht frei sagen konnte. Auch heute, so fuhr er fort, würden nicht weit von uns Menschen verschwinden, verhaftet oder gar umgebracht, weil sie sagen, was sie denken.

Da spricht Roberto Benigni auch zu uns. Unsere schweizerische Bundesverfassung weiss, «dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht». Die Meinungsfreiheit zu gebrauchen bedeutet, die eigene Meinung klar zu sagen, wo es wichtig ist – und auch für die Freiheit derjenigen einzustehen, mit denen wir überhaupt nicht einverstanden sind. Das gilt auch für die katholische Kirche.

Christian von Arx