Zum Beispiel der Rütlischwur: Ausschnitt aus dem Fresko des Basler Malers Ernst Stückelberg (1831–1903) in der Tellskapelle bei Sisikon UR. | © picswiss.ch
Zum Beispiel der Rütlischwur: Ausschnitt aus dem Fresko des Basler Malers Ernst Stückelberg (1831–1903) in der Tellskapelle bei Sisikon UR. | © picswiss.ch
23.08.2018 – Impuls

Josua 24,1–2a.15–17.18b
In jenen Tagen versammelte Josua alle Stämme Israels in Sichem; er rief die Ältesten Israels, seine Oberhäupter, Richter und Listen­führer zusammen, und sie traten vor Gott hin. ­Josua sagte zum ganzen Volk: Wenn es euch aber nicht gefällt, dem Herrn zu dienen, dann entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göttern, denen eure Väter jenseits des Stroms dienten, oder den Göttern der Amoriter, in deren Land ihr wohnt. Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen. Das Volk antwortete: Das sei uns fern, dass wir den Herrn verlassen und anderen Göttern dienen. Denn der Herr, unser Gott, war es, der uns und unsere Väter aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt hat und der vor unseren Augen alle die grossen Wunder getan hat. Er hat uns beschützt auf dem ganzen Weg, den wir gegangen sind, und unter allen Völkern, durch deren Gebiet wir gezogen sind. Auch wir wollen dem Herrn dienen; denn er ist unser Gott.

Einheitsübersetzung

 

Sag niemals nie!

Vor rund einem halben Jahr hat ein Pater unser Kloster verlassen. Die Mitteilung wurde auf unserer Webseite aufgeschaltet, Ende Juli folgte eine kurze Stellungnahme seinerseits: «Aus persönlichen Gründen habe ich das Kloster Mariastein verlassen. … Die Zeit im Kloster war eine gute Zeit und ich bin dankbar dafür. Aber das Herz hat mir einen neuen Weg gewiesen. …» All das hat sein Echo auch in den Medien gefunden.

Ich bin immer noch am Überlegen, wie das ist mit den ewigen Gelübden, mit heiligen Schwüren, mit dem Versprechen lebenslänglicher Treue. In der Bibel lese ich von dem feierlichen Bekenntnis des Josua, damals in Sichem, kurz vor dem Einzug ins Gelobte Land: «Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen.» Das Volk – die zwölf Stämme Israels – antwortete mit Pathos und Begeisterung: «Das sei uns fern, dass wir den Herrn verlassen und anderen Göttern dienen. … Auch wir wollen dem Herrn dienen; denn er ist unser Gott.» Ich spüre, wie eine leise Skepsis in mir hochsteigt, dass ich ein klein wenig auf Distanz gehe gegenüber solch hehren Deklamationen. Tatsächlich kam es ja ganz anders mit dem Volk Israel.

Ich erinnere mich an eine Ehevorbereitung. Er, der Mann, war von Beruf Psychiater. Als ich, gut katholisch, ihm die Unauflöslichkeit der Ehe darlegte, hielt er klipp und klar fest: Diese Auffassung sei mit seinem beruflichen Ethos unvereinbar; kein Mensch könne ehrlicherweise für sich und für andere «Unauflöslichkeit» postulieren oder ein lebenslängliches Versprechen abgeben. Daraus ergab sich eine spannende Diskussion. Das Paar wurde zur Familie und ist heute noch beisammen. So ist das Leben, unvorhersehbar.

Was passieren kann, wenn der Eifer auf einmal kippt und umschlägt, führt uns der Werdegang des Saulus alias Paulus vor Augen. Sein Leben ist gekennzeichnet von einer radikalen Konversion. Der biografische Bruch wurde ausgelöst durch göttliche Intervention: «Was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Verlust erkannt. … Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein» (Philipper 3,7f).

Mehr noch: Selbst Gott scheint nicht gefeit zu sein gegen abrupte Sinnesänderung. Psalm 89 besingt in epischer Breite und hymnischen Tönen Jahwes beständige Huld und unverbrüchliche Treue gegenüber David, seinem Erwählten, mündet aber in die bittere Klage: «Nun aber hast du deinen Gesalbten verstossen, ihn verworfen … hast deinen Bund gebrochen.» Welche Enttäuschung! Sich anders besinnen ist offenbar nicht uns Menschen vorbehalten. Die Klugheit rät: «Sag niemals nie!», solange sich nicht der Sargdeckel über dir schliesst.

Freilich, es gilt auf der Hut zu sein gegenüber der Gefahr, in zynisches Fahrwasser zu geraten oder der Beliebigkeit das Wort zu reden. Sophokles (4. Jh. v.Chr.) lässt in seiner «Antigone» den Chor kommentieren: «Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch.» Vielleicht könnte man auch sagen: «Vieles im Leben ist rätselhaft, doch nichts ist rätselhafter als der Mensch.» Der kleine Prinz drückt sich poetisch aus: «Le cœur a des raisons que la raison ne connaît pas.» Lebenspraktisch und befreiend bis ans selig End ist das von Lukas überlieferte Herrenwort: «Richtet nicht, dann werdet ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden.» Schliesslich ist da die merkwürdige Frage aus Jesu Mund, mit welcher das Evangelium zu Ende geht: «Was geht das dich an? Du aber folge mir nach» (Johannes 21,22). Eine Prise Demut tut allemal gut.

Peter von Sury, Abt des Benediktinerklosters Mariastein