Achten Sie mal darauf, was ihre Worte und Augen mitteilen, zum Beispiel beim Einkaufen.| © Shutterstock
Achten Sie mal darauf, was ihre Worte und Augen mitteilen, zum Beispiel beim Einkaufen.| © Shutterstock
12.01.2023 – Impuls

Matthäus 10,28a.29–32

Jesus sprach: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können … Verkauft man nicht zwei Spatzen für einen Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.

Einheitsübersetzung 2016

 

Ich muss es gesagt bekommen!

In einer seiner Lügengeschichten erzählt der Baron von Münchhausen, wie er sich am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf gezogen hat. Er gibt halt gern an mit seinen Grosstaten. Was physisch natürlich unmöglich und unsinnig ist, wird psychologisch gern warm empfohlen: Man muss sich selbst lieben, wenn man gesund sein will. Nur wer sich selbst liebt und achtet, kann auch andere Menschen lieben und achten. Da ist was dran, natürlich. Wer sich selbst nicht für liebenswert hält, kann anderen Menschen nur schwer Liebe entgegenbringen.

Zur Lügengeschichte wird diese Wahrheit aber, wenn behauptet wird, man könne bei sich selbst beginnen, sich selbst lieben und achten, und dann werde sich das auf die Liebe zu den Mitmenschen übertragen. Selbstwert und Selbstachtung entstehen nicht, indem ich mir täglich vorbete oder einbilde, ich sei liebenswert. Auf diese Weise baue ich höchstens eine moralische Maske, produziere ein Lächeln um meinen Mund, und wer hinsieht, merkt schnell, dass die Augen nicht mitlächeln und unter der Maske die Selbstbeschimpfung weitergeht.

Liebenswert zu sein kann ich mir nicht einreden. Das muss mir gesagt, gezeigt, zugesprochen werden, solange und immer wieder, bis ich es glaube. Ich brauche die Menschen, die mich aus dem Sumpf der Selbstentwertung ziehen. Gibt es diese Menschen nicht, droht mir der Untergang. Die Psychologen sprechen von der Notwendigkeit der liebevollen Zuwendung in der frühen Kindheit und von den Schäden, die entstehen, wenn sie fehlt. Aber man lernt nie aus, und so ist in jedem Lebensalter die gesprochene und getane liebevolle Zuwendung Nahrung für das Selbstwertgefühl. Und dies ist wiederum Kraftquelle für die Fähigkeit, anderen ihren Wert zu zeigen. Ein Kreislauf der Liebe also und nirgends Selbstbedienung.

Von heiligen Sebastian kennt man nur wenige Legenden. Wegen seines christlichen Glaubens sei er hingerichtet worden. Die Liturgie seines Gedenktages gibt uns den Text aus dem Matthäusevangelium, der uns von unserem Wert für Gott erzählt, mit auf den Weg. Jesus erklärt uns die göttliche fundamentale Wertschätzung, die uns stark, liebevoll und furchtlos macht – wenn wir daran glauben. In der Taufe wird diese Liebe gefeiert, aber umgesetzt und weitergegeben wird sie in jeder Begegnung unser ganzes Leben lang bis hin zum Sterbebett oder wo immer uns das Lebensende erreicht. Sebastian brauchte das, wir brauchen das.

Wie eine tägliche Nahrung braucht unsere Seele die Zeichen und Worte der Wertschätzung. Auch wenn es nur um Kleinigkeiten und Kurzbegegnungen geht. Wir leben davon, dass wir einander immer wieder zeigen: Es ist gut, dass du da bist, du bist beachtenswert und geschätzt. Das ist die Übersetzung der Jesusrede in unseren Alltag. Achten Sie mal darauf, was ihre Worte und Augen mitteilen, zum Beispiel beim Einkaufen. Und achten Sie darauf, was Ihre Augen und Ohren aufnehmen: Wir ziehen einander aus dem Sumpf und stellen uns gegenseitig auf den Boden des Lebens. Das heisst glauben.

Ludwig Hesse, Theologe und Autor, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland.