Eins, zwei, drei … ich komme! Suchen und Finden sind auch jenseits von Kinderspielen wesentliche Erfahrungen. | © Michael Horn/pixelio.de
Eins, zwei, drei … ich komme! Suchen und Finden sind auch jenseits von Kinderspielen wesentliche Erfahrungen. | © Michael Horn/pixelio.de
27.07.2023 – Impuls

Jeremia 29,13–14

Ihr werdet mich suchen und ihr werdet mich finden, wenn ihr nach mir fragt von ganzem Herzen. Und ich lasse mich von euch finden – Spruch des Herrn – und ich wende euer Geschick und sammle euch aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch versprengt habe – Spruch des Herrn.

Einheitsübersetzung 2016

 

Heiliges Versteckspiel

Wie oft haben wir doch als Kinder «Verstecken» gespielt: «Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn – ich komme!» Der Reiz des Spiels: verstecken, suchen und gefunden werden. Suchen und Finden sind aber auch jenseits von Kinderspielen ganz wesentliche Erfahrungen. Dazu eine typische chassidische Geschichte:

Rabbi Baruch hatte einen Enkel mit Namen Jekiel. Eines Tages spielte der Junge mit seinen Freunden Verstecken. Ein gutes Versteck hatte er sich ausgesucht. Schwer nur war er zu finden, lange wartete er im Verborgenen. Endlich, nach langer Zeit, merkte er, dass die Freunde ihn gar nicht mehr suchten. Nein, sie spielten längst ganz etwas anderes. Weinend verliess der Junge das Versteck und lief zu seinem Grossvater, um sich über die Spielgefährten zu beklagen. Da stiegen auch dem greisen Rabbi Baruch die Tränen in die Augen, und er sprach: «Jekiel, jetzt hast du am eigenen Leib erfahren, wie es Gott zumute ist, der spricht: Ich bin verborgen, und niemand will mich suchen.»

Eine alte Geschichte, die etwas zur Sprache bringt, woran wir immer wieder erinnert werden sollten: Ich bin geliebt, ich werde sehnsuchtsvoll gesucht und hoffentlich gefunden bzw. ich suche und werde mein Gegenüber sicher finden, weil er sich ja auch finden lassen will.

Ja, Gott will gesucht – und gefunden werden von seinen Menschen. Aber er stellt sich mir nicht in den Weg. Er ist ein verborgener Gott, der sich mir nicht aufdrängt. Er hinterlässt seine Spuren in der Welt, er stellt mir Wegbegleiter an die Seite, er lockt mich, zieht mich – immer weiter ins Leben und in die Welt hinein. Und zu sich hin. Aber ich kann ihn nur erkennen, wenn ich mich auf die Suche nach ihm einlasse. Wenn ich nach ihm frage, wenn ich die Augen offenhalte, in Bewegung bleibe, mich überraschen lasse. Von neuen Möglichkeiten, Begegnungen und Spielräumen – von Gott.

Eine, die sich voll und ganz auf dieses «Versteckspiel» mit Gott eingelassen hat, ist Edith Stein. Ich frage mich, was sie uns wohl sagen würde, wenn sie heute vor uns stünde – denen, die wissenschaftlich arbeiten oder theologisch forschen, sowie denen, die als Christen ihr Leben gestalten oder den Weg der Nachfolge Christi gehen. Ich kann mir vorstellen, dass sie uns vor allem eines ans Herz legen würde: Ihr sollt suchen! Werdet immer mehr Suchende nach der Wahrheit! Lernt nicht nur theologische Meinungen auswendig, die ihr dann in konservative oder progressive, in traditionalistische oder liberale, in zeit- oder freigeistige einteilt, sondern sucht nach dem Wesentlichen!

Und das Tröstliche daran: Ob ich skeptisch nach Gott Ausschau halte, ob ich verzweifelt nach ihm rufe, ob ich ihm freudig danke – ich kann darauf vertrauen: Er ist schon da!

Nadia Miriam Keller, Theologin, arbeitet als Spitalseelsorgerin am St. Claraspital in Basel