08.09.2022 – Editorial

Heilige Kühe

Für Herrn X. ist klar, wer im Fall Klimakrise auf der Anklagebank sitzt. «Schuld ist das Auto», sagt der 89-Jährige am Telefon. Zum Hörer gegriffen hat er auf unseren Beitrag zum Auftakt der SchöpfungsZeit hin. Es werde viel zu viel Auto gefahren, kritisiert er, auch bei Gelegenheiten, bei denen es anders gehe. So lege er die Strecke zwischen seinem Wohnort im Unterbaselbiet und dem Wallfahrtsort Mariastein mit dem öffentlichen Verkehr zurück.

Herr X. hat eine Gabe für prägnante Sätze. Weil er unser Angebot, seine Botschaft in einem Leserbrief unter die Leute zu bringen, abgelehnt hat, übernimmt nun die Redaktion diese Aufgabe. «Den öffentlichen Verkehr muss man nicht fördern, sondern benutzen», sagt er. Und: Das Auto werde fast schon auf einen Altar gestellt.

Für die Generation von Herrn X. verkörpert das Auto, angetrieben mit mehr oder weniger billigem Öl, Fortschritt und vor allem Freiheit. Die Freiheit, aufzubrechen wann man will, hinzufahren wohin man will (soweit es eine Strasse gibt), unterwegs zu sein mit ausgewählter Begleitung oder auch allein. Die Ölkrise der 1970-er Jahre vermochte diese Begeisterung kaum zu erschüttern.

Kein Wunder erscheint ein Leben ohne Auto für viele Altersgenossen und -genossinnen von Herrn X., aber auch für viele Angehörige jüngerer Generationen unvorstellbar. Autos sind so etwas wie die heiligen Kühe der mit fossiler Energie befeuerten Moderne. Höchste Zeit also, sich über Alternativen nicht nur Gedanken zu machen, sondern sie auch konkret auszuprobieren.

Regula Vogt-Kohler