Gott sei auch in den Kochtöpfen, sagt Teresa von Ávila. | © wikimedia/Karen and Brad Emerson
Gott sei auch in den Kochtöpfen, sagt Teresa von Ávila. | © wikimedia/Karen and Brad Emerson
23.03.2023 – Impuls

Psalm 139,1–6

Lebendiger, du hast mich erforscht und kennst mich. Du weisst, ob ich sitze oder stehe, du verstehst meine Gedanken von fern. Mein Gehen und mein Liegen – du misst es ab. Mit all meinen Wegen bist du vertraut. Kein Wort ist auf meiner Zunge – Lebendiger, du kennst sie alle. Von hinten und vorn hast du mich umschlossen und deine Hand auf mich gelegt. Wunderbar ist die Erkenntnis für mich, unbegreiflich, ich kann sie nicht fassen.

Bibel in gerechter Sprache

 

Gott ist im Alltag anwesend

Einen Ohrwurm habe ich seit einigen Wochen. Ein Lied von Gerhard Tersteegen, das nicht in unserem Gesangbuch steht und das mich berührt – trotz seiner Sprache, die uns heute unvertraut ist, aber zusammen mit der wunderschönen Musik unsere Herzen erreicht. Hier können Sie es anhören.

Ein Lied voller Mystik und Gottesnähe. Voller Intimität und Ehrfurcht, wobei ich diesen Begriff lieber mit Gottesliebe übersetzen möchte.

Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.

Gott ist in der Mitte: Das ist ein Bekenntnis. Gott der Mittelpunkt? Oder etwas anderes? Gott, die Mitte von allem, was lebt. Das Herzensgebet kommt mir da in den Sinn. Immer wieder den Namen Jesu wiederholen, ein Gebet, das ich auswendig wie inwendig kann. Par cœur.

Majestätisch Wesen, möcht ich recht dich preisen und im Geist dir Dienst erweisen.
Möcht ich wie die Engel immer vor dir stehen und dich gegenwärtig sehen.
Lass mich dir für und für trachten zu gefallen, liebster Gott, in allem.

Eine Liebeserklärung an Gott: Lass mich dir gefallen. Liebster Gott. Daraus zieht Tersteegen Konsequenzen für das eigene Leben. Seinen Kaufmannsberuf gibt er auf und zieht sich in ein einfaches Leben als Leinenweber aus der Öffentlichkeit zurück. 1774 überantwortet er sich ganz Christus und führt ein Leben im Rhythmus des Gebets. Aus freiem Entschluss.

Luft, die alles füllet, drin wir immer schweben, aller Dinge Grund und Leben,
Meer ohn Grund und Ende, Wunder aller Wunder: ich senk mich in dich hinunter.
Ich in dir, du in mir, lass mich ganz verschwinden, dich nur sehn und finden.

Oder auch: Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir. So wie Niklaus von Flüe das in seinem Hingabegebet formuliert hat. Vertrauen darauf, dass Gott überall ist und alles Seiende durchdringt. Von vorn und hinten umschliesst Gott mich und legt seine Hand auf mich.

Mache mich einfältig, innig, abgeschieden, sanft und still in deinem Frieden;
mach mich reines Herzens, dass ich deine Klarheit schauen mag in Geist und Wahrheit;
lass mein Herz überwärts wie ein‘ Adler schweben und in dir nur leben.

Alles, was zerstreut, lenkt mich ab von der Mitte, vom Zentrum, vom Göttlichen in mir. Sich fokussieren, auf das eine konzentrieren. Das meint Tersteegen mit «mache mich einfältig». Und der Adler, der so hoch fliegt wie kein anderer Vogel, symbolisiert die Gottesnähe.

Herr, komm in mir wohnen, lass mein‘ Geist auf Erden dir ein Heiligtum noch werden;
komm, du nahes Wesen, dich in mir verkläre, dass ich dich stets lieb und ehre.
Wo ich geh, sitz und steh, lass mich dich erblicken und vor dir mich bücken.

Mit einer Bitte schliesst Tersteegen sein Lied. Mit der Bitte um die ständige Gegenwart Gottes. Wo ich geh, sitz und steh: Dort ist Gott gegenwärtig. Es ist nicht notwendig, sich ins Kloster zurückzuziehen. Gott ist im Alltag anwesend. So wie Teresa von Ávila es formuliert: Gott ist auch in den Kochtöpfen.

Und vielleicht haben Sie jetzt auch einen Ohrwurm, der Sie beim Kochen oder Spazierengehen begleitet?

Dorothee Becker, Theologin und Seelsorgerin.
Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Franziskus,
Riehen-Bettingen