Manchmal fallen die helfenden Taten von Menschen wie Sonnenstrahlen auf gewöhnliche Situationen. | © Dmitry Grachyov/Unsplash
Manchmal fallen die helfenden Taten von Menschen wie Sonnenstrahlen auf gewöhnliche Situationen. | © Dmitry Grachyov/Unsplash
07.03.2024 – Impuls

Markus  4,37-39

Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot […] und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein.

Einheitsübersetzung 2016

 

Gnadenstrahlen im grauen Alltag

Es gibt Räume, die klein, für sich genommen, existieren und gleichzeitig weit sind und immer grösser werden, sich über Europa hinaus in die weite Welt ausdehnen. Diese Räume können grenzüberschreitend erfahren werden. Dann kann es sein, dass man in der Mutter Ljudmila Nawalnaja am Polarkreis an eine Skulptur des Michelangelo namens „Pietà“ in Rom erinnert wird, obwohl man sie zwischenzeitlich vergessen hatte. Ljudmila Nawalnaja suchte, wie Maria – die Mutter Jesu, die von der Skulptur in Rom dargestellt wird –  und wie viele Mütter, ihre jungen, geschundenen, ermordeten Söhne in der Ukraine und in Russland, in Israel und Gaza, um nur einige Teile der Erde zu nennen, um zu trauern und Abschied nehmen zu können. Wir sind in der weiten Welt und spüren manchmal das Stöhnen der Menschen, welche durch ihren Mut und ihre Lebenshingabe im Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit ihr Leben verlieren.

Szenewechsel in die kleine Welt eines Dorfes: Ich, grauhaarig, stieg in einen Bus und eine junge Frau mit Kopftuch und ihr kleines Mädchen standen auf, um mir ihren Platz anzubieten. Es berührte mich, weil ich es nicht erwartete. Beim Umsteigen in den nächsten Bus überraschte mich eine Szene, die ich nicht so schnell vergessen werde: Ein junger Mann mit einer Beeinträchtigung half einer Mutter mit Kinderwagen aus dem Bus auszusteigen und drückte den Knopf, damit die Bustüre sich ja nicht schloss. Er war ganz dabei, innigst, strahlend, geduldig. Auch für mich drückte er den Knopf von aussen noch einmal, damit ich noch in den selben Bus einsteigen und mich in Ruhe hinsetzen konnte. Diese beiden Gegebenheiten ereigneten sich innerhalb von fünf Minuten. Die Hauptpersonen waren diese junge Muslima mit ihrem kleinen, süssen Mädchen und der junge Mann mit Beeinträchtigung. Ihr Handeln fiel wie ein Lichtstrahl in diese gewöhnliche Situation hinein. Waren nicht diese zwei Menschen im Bus von Wärme und Zugewandtheit erfüllt?

Und manchmal ist gar nichts. Es herrschen Langeweile, Kämpfen um die besten und bequemsten Plätze und vor allem Gleichgültigkeit.

Emilie Schneider beschrieb 1857 in einem Brief einen Raum in der Josephskapelle des Theresienhospitals. Ihre Sprache ist die einer religiösen und sozial engagierten Frau aus dem 19. Jahrhundert: «Die Strahlen verbreiteten sich in einem Augenblick über alle und teilten sich ihnen […] mit. […] Auch ich hatte Anteil an den Gnadenstrahlen meines geliebten Heilandes […] mein Herz wurde von einer so grossen Glut entzündet.  […] Das strahlende und wärmende Licht», so beschrieb sie, teilte sich nicht nur ihr, sondern allen mit. Diese besondere Frau hatte einen Blick fürs Ganze. Emilie Schneider hinterliess folgendes Gebet: «Du mein guter Herr und Meister! Wer wollte sich deiner ebenso weisen wie liebevollen Leitung nicht ganz überlassen? Ist doch der allein in vollkommener Sicherheit, selbst auf dem vom Sturm bewegten Meer; denn auf dein Wort legt sich der Sturm und grosse Stille tritt ein.»

Wir mögen in diesen bewegten, stürmischen Zeiten auf sein Wort hin Räume der Stille und warme, zugewandte Menschlichkeit erfahren und dankbar weitergeben.

Anna-Marie Fürst, Theologin
langjährige Gefängnisseelsorgerin
Seelsorgerin im Pastoralraum Gösgen