05.10.2023 – Leserreaktionen

Generalverdacht

Ein Mangel im Missbrauchsbericht zur Kirche

Der Bericht der Uni Zürich über die sexuellen Übergriffe in der römisch-katholischen Kirche der Schweiz liegt vor. Ein niederschmetterndes Ergebnis. Man muss es ohne Wenn und Aber als Faktum und als furchterregende Hypothek unserer Kirche akzeptieren und hoffen, dass die zuständigen Stellen kompromisslos zu Werke gehen.

Es sei mir erlaubt, gegenüber den beiden Historikerinnen nur einen Mangel in der mündlichen Präsentation vorzuwerfen. In der inkriminierten Zeit zwischen 1950 bis heute sind ungezählt viele Mönche und Priester ihrer Sendung entsprechend klaglos mit Hingabe in der Seelsorge gestanden oder üben weiterhin ihr geistliches Amt pflichtbewusst aus oder sind im Ruhestand dankbar für alles, was sie als Seelsorger sein durften. In der mündlichen Eröffnung des Berichts fiel keine Silbe davon. Darf man von der Geschichtsschreibung nicht eine Gesamtschau der von ihr ins Visier genommenen Zeit erwarten? Nicht etwa, um die dunkeln Seiten zu verwässern, sondern jenen, die Teil des Ganzen sind, wenigstens in einem Satz Respekt erfahren zu lassen, statt sie dem Generalverdacht auszusetzen. Empathie und Fingerspitzengefühl blieben in der mündlichen Darstellung auf der Strecke. Schade!

Willy Bucheli-Frech, Basel