Wir alle haben die Verheissung, dass wir das göttliche Licht jetzt erfahren dürfen. | © Joujou/pixelio.de
Wir alle haben die Verheissung, dass wir das göttliche Licht jetzt erfahren dürfen. | © Joujou/pixelio.de
16.04.2020 – Impuls

Epheserbrief 5,14–17,18

Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein. Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht wie die Toren, sondern wie Kluge. Nutzt die Zeit, denn die Tage sind böse. Darum seid nicht unverständig, sondern begreift, was der Wille des Herrn ist! … Lasst euch vom Geist erfüllen!            

Einheitsübersetzung 2016

 

Ermöglicht uns die Bedrohung neue Lebensorientierung?

«Mein Wesen ist Feuer», soll die heilige Katharina von Siena von sich selber gesagt haben. Ein Wirbelsturm soll sie im 14. Jahrhundert gewesen sein. Sie war in eine Zeit der Bürgerkriege, Machtkämpfe und Familienfehden geboren. In der Kirche litt sie unter dem Zerfall der Integrität des Klerus und strebte eine umfassende Reform der Kirche an, was ihr nur zum Teil gelang. Sie war eine junge Brückenbauerin in politischen und kirchlichen Zerreissproben und eine unabhängige Friedensfrau.

Wir sind in der Zeit nach Ostern, dem Fest der Auferstehung Christi. Aber wir fragen uns heute eher, wie es jetzt in der Coronakrise wohl weitergehen wird. Eine Quasi-Depression auf allen Ebenen des familiären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat uns mehr oder weniger betroffen, erfasst. Wie sollen wir diese Situation einordnen und bewältigen? Wer hilft uns, sie zu deuten? Wie geht es weiter? Gibt es möglicherweise ganz neue Perspektiven und Einsichten – und vor allem: Was lernen wir daraus? Dass wir in Krisen etwas lernen können, ist oft die einzige Hoffnung, und ich füge hinzu, die Hoffnung überhaupt.

Diese grossartige Frau lebte vor, dass Verstand und Glauben miteinander zu verbinden sind. Sie schwebte nicht über den Wolken. Nach einer längeren Zurückgezogenheit, nach Zeiten der totalen Isolation ging sie nach draussen und pflegte die Kranken und Sterbenden im Ospedale della Scala und im Leprosenheim San Lazzaro. Später pflegte sie auch Pestkranke. So wurde sie auch die Fürsprecherin der Krankenschwestern. – Gerade heute haben wir die Hingabe aller im Gesundheitswesen vor Augen. Eingeschlossen sind alle, die in der Forschung sind und eine Impfung und Medikamente gegen das Coronavirus suchen. Man kann sich nur verneigen vor so viel Engagement!

Katharina von Siena rief dazu auf: «Es ist nun Zeit, vom Schlafe aufzustehen … Wir machen uns selbst blind, wenn wir die Wolke der Gleichgültigkeit und den Nebel der Eigenliebe vor unseren Augen dulden.» – Es kann sein, dass im eigenen Leben Wichtiges zurückgedrängt wurde und Unwichtiges an erster Stelle war. Vielleicht kann die aktuelle Erschütterung und Bedrohung uns neue Werte und Lebensorientierung ermöglichen? Anstelle des «schneller, höher, stärker» ein Leben mit Selbstbeschränkung und Mitverantwortung allem Leben gegenüber? Dazu benötigen wir vielleicht ein Gespräch mit Freunden und Freundinnen, mit Seelsorgenden und Beraterinnen und Beratern.

Die Heilige wird wohl im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Ephesus diese Worte gefunden haben: «Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein.» – Es gibt den Schlaf durch Benommenheit und Blindheit. Ich würde heute sagen, dass man auf eine gewisse Art schläft, wenn man die eigene Fähigkeit zur Liebe und Verantwortung allem Leben gegenüber unterschätzt. Wir alle haben die Verheissung, dass wir das göttliche Licht jetzt erfahren dürfen. Und durch Ostern wissen wir, dass Gottes Lebenskraft für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft mit und in uns ist.

Anna-Marie Fürst, Theologin, arbeitet in der Gefängnisseelsorge und in der Seelsorge für Menschen mit Behinderung in den Kantonen Basel-Stadt und Zug.