13.12.2018 – Editorial

Oh Tannenbaum

Sie grünt und blüht, die Geranie, die als Ameisenabwehr neben unserer Haustüre steht. Unverdrossen bildet sie grüne Blätter und rote Blüten – als ob es kein Morgen oder vielmehr keinen Winter gäbe. «Geranien sind ausdauernde Sommerblüher und lieben einen sonnigen Standort», heisst es auf einem der zahlreichen Gartenportale. Dass die Sonne in diesen Tagen, wenn überhaupt, immer weniger lange scheint, scheint unsere Geranie jedoch kaum zu kümmern. Selbst die ersten Schneeflocken und Fröste vor ein paar Wochen und nun der von stürmischem Wind herangepeitschte Regen haben sie nicht davon abgebracht, sich weiterhin in Grün und Rot statt in Braun zu präsentieren. Statt mit welken Blättern nach ­einem sicheren Quartier zum Überwintern zu schreien, singt sie das Lied des ewigen Sommers.

Wenn es noch eines sichtbaren Beweises für den Klimawandel gebraucht hätte, dann liefert ihn die Geranie mit ihrer sommerlichen Üppigkeit. Die sich nun mitten im Advent öffnenden Blütenknospen signalisieren, dass da etwas aus dem Lot geraten ist. Noch bis am 14. Dezember ringen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der UN-Weltklimakonferenz im polnischen Katowice darum, die Dinge wenigstens so weit zu richten, dass der von uns Menschen massgeblich mitverursachte Wandel des Klimas nicht in die globale Katastrophe führt. Konkret geht es darum, Massnahmen und Regeln festzulegen, mit denen sich die vor drei Jahren in Paris vereinbarten Ziele erreichen lassen.

Der im Oktober 2018 vorgelegte aktuellste Weltklimareport verdeutlicht, dass wir vermutlich weniger Zeit zur Verfügung haben, als uns lieb ist. Einfach mal abwarten und auf den genialen technischen Durchbruch irgendwann einmal hoffen funktioniert nicht, das zeigen bisherige Erfahrungen. Ein überdurchschnittlich warmes Jahr reiht sich an das andere, während der CO2-Ausstoss laufend zunimmt.

Zum Handeln zwingen sollte uns aber nicht nur die zeitliche Dringlichkeit, sondern auch die mit dem Klimawandel verbundene Ungerechtigkeit. Für weite Teile der Erdbevölkerung sind die Folgen bereits jetzt katastrophal, es sind aber nicht jene, welche am meisten zu den Ursachen beitragen. Wenn wir nicht nur der grösste Teil der Ursache sein wollen, müssen wir mehr tun. Den Tannenbaum aus regionaler, ökologisch nachhaltiger Produktion zu beziehen, ist nicht nichts, aber auch nicht mehr als ein Tröpfchen auf einen immer heisser werdenden Stein.

Regula Vogt-Kohler