Niemand anders kann gemeint sein, keine andere Person. | © Rainer Sturm/pixelio.de
Niemand anders kann gemeint sein, keine andere Person. | © Rainer Sturm/pixelio.de
06.08.2020 – Impuls

Lukas 11,27–28

Es geschah aber: Als er das sagte, da erhob ­eine Frau aus der Menge ihre Stimme und rief ihm zu: Selig der Schoss, der dich ge­tragen, und die Brust, die dich gestillt hat!
Er aber erwiderte: Ja, selig sind vielmehr, die das Wort Gottes hören und es befolgen.

Einheitsübersetzung 2016

 

Du bist gemeint! Ja, du!

Mein Vater besass früher ein kleines Lohnunternehmen und verdiente mit seinen zwei Mähdreschern im Sommer einen wichtigen finanziellen Zustupf für unseren Bauernhof. Zeitweise hatten wir eine Aushilfskraft, die mit dem zweiten Mähdrescher fuhr. Immer wieder kam es vor, dass Bauern anriefen und verlangten, dass mein Vater und nicht die Aushilfskraft kommen solle. Sie wollten persönlich von ihm bedient werden, weiss der Geier warum! Vermutlich versprachen sie sich weniger Ausfälle und eine bessere Leistung. Es waren sicher keine objektiven Gründe, denn unser Fahrer war bei der Arbeit ebenso gut wie mein Vater. Trotzdem war eine Vertretung für einzelne Bauern unvorstellbar. Mein Vater musste her!

Vielleicht haben Sie einmal etwas Ähnliches erlebt, bei dem Sie persönlich gefragt waren und keine andere Person Sie ersetzen konnte. Ganz besonders erleben wir das in Partnerschaften und Liebesbeziehungen. Da rückt eine Person ganz in die Aufmerksamkeit und in den Bann einer anderen. Für Verliebte ist ein Leben ohne den Geliebten oder die Geliebte kaum vorstellbar. Wenn wir persönlich gefragt sind, dann betrifft es den innersten Kern von uns selbst. Niemand anders kann dann gemeint sein, sondern nur wir selbst, in aller Ausschliesslichkeit.

Dieser Gedanke hilft ein wenig beim Verständnis des Festes «Mariä leibliche Aufnahme in den Himmel». Denn eigentlich ist es unerklärlich, warum noch im Jahr 1950 das päpstliche «Dogma von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel» formuliert werden musste. Am meisten stört die «Verpflichtung zur Annahme»: Wer das nicht glaubt, soll wissen, dass er oder sie vom katholischen Glauben abgefallen ist. Wie kann man dann einigermassen vernünftig von einer leiblichen (!) Aufnahme Mariens in den Himmel reden? Ein leibhaftiger Körper in der Ewigkeit liegt jenseits aller Vernunft.

Hingegen ist auch das Wissen um die eigene Endlichkeit nicht auszuhalten. Der jüdische und so auch der christliche Glaube haben hierzu mit der «Auferstehung der Toten» eine eigene Interpretation für ein sinnvolles Leben angesichts des Todes entwickelt. Die Vorstellung von der Auferstehung der Toten spricht im Kern das Gleiche an, wie es die leibliche Aufnahme Mariens tut.

Dem Christentum wie dem Judentum liegt die Idee zugrunde, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit von Gott «gesehen» wird, und zwar über den persönlichen Tod hinaus. Mit der Auferstehung des Leibes ist gemeint, dass die Person über den Tod hinaus «ganz» und in ihrer Einzigartigkeit bestehen bleibt. So wie ein von uns geliebter Mensch einzigartig ist, bleibt der verstorbene Mensch über seinen Tod hinaus in seiner Einzigartigkeit bestehen, auch dann, wenn kein Lebender mehr an ihn denkt.

Eigentlich ist es belanglos, wie man sich eine leibliche Aufnahme Marias in den Himmel vorzustellen hat. Sie ist in diesem Sinne eine Vorläuferin für alle. Sie hat in ihrem Leben zu Gott Ja gesagt und kann uns ermutigen, bereits heute und jetzt so zu leben, dass wir am Schluss sagen können: Ja, das war ich! Ich habe so gelebt, wie ich sein wollte. Ich stehe mit meiner ganzen Person dafür ein!

Mathias Jäggi, Theologe und Sozialarbeiter, arbeitet als Berufsschullehrer