Vom kontinentalen Synodentreffen berichteten (von links) die drei in Prag anwesenden Delegierten aus der Schweiz, Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen-Spuhler, sowie drei der zehn Online-Delegierten: Renata Asal-Steger, Felix Terrier und Mentari Baumann.
| © Christian von Arx
Vom kontinentalen Synodentreffen berichteten (von links) die drei in Prag anwesenden Delegierten aus der Schweiz, Bischof Felix Gmür, Tatjana Disteli und Helena Jeppesen-Spuhler, sowie drei der zehn Online-Delegierten: Renata Asal-Steger, Felix Terrier und Mentari Baumann. | © Christian von Arx
22.04.2023 – Aktuell

Die Kirche braucht Probierräume für den Weg in die Zukunft

Der Bistumsanlass in Aarau zur kontinentalen synodalen Versammlung in Prag hinterliess eine Fülle von Eindrücken

Im Bistum Basel besteht die klare Erwartung, dass der von Papst Franziskus angestossene synodale Prozess eine Tür zur Erneuerung der Kirche aufstösst. Mindestens den Ortskirchen, so die Hoffnung, soll er die seit Jahrzehnten blockierten Reformen ermöglichen. Ganz unklar ist aber, was eine zukünftige «synodale» Kirche von deren heutiger Funktionsweise unterscheiden soll.

Wohin wird der auf die drei Jahre 2021 bis 2024 angelegte synodale Prozess die katholische Kirche führen? Der von der Bistumsleitung angebotene Informations- und Reflexionsanlass vom 19. April in Aarau lieferte keine Antwort. Aber er vermittelte eine aus vielen Puzzlestücken bestehende Momentaufnahme:

  • Nach Aarau gekommen waren schätzungsweise 120 Personen, die meisten mittleren oder höheren Alters. Die junge Generation fehlte praktisch komplett, anderssprachige Gläubige waren nur vereinzelt erkennbar. Der Bedeutung des Themas entsprechend hätte die Kirche eigentlich aus allen Nähten platzen müssen. Das bedeutet: Der synodale Prozess hat im grössten Bistum der Schweiz bisher nur einen kleinen Kreis von Deutschsprachigen erfasst, die sich schon lange Zeit – oft auch beruflich – für die Kirche interessieren und engagieren.
  • Von den direkt an der kontinentalen Versammlung von Ende Februar in Prag Beteiligten betonten die einen eher die positive neue Erfahrung der Partizipation von Nichtklerikern und die Offenheit des Austauschs, die andern hingegen die nur schon optisch überwältigende Dominanz der Bischöfe und anderen Kleriker an dieser – so Helena Jeppesen – «erweiterten europäischen Bischofskonferenz»: Von den 178 in Prag Anwesenden waren 100 Kleriker, 64 Frauen und 14 nicht geweihte Männer. Die Frauen konnten sich Gehör verschaffen, obschon sie mit einem Anteil von 36 Prozent klar in der Minderheit waren. Die katholischen Männer wurden in Prag durch eine siebenfache (!) Überzahl von Klerikern repräsentiert – europäischer Klerikalismus des Jahres 2023. Stark untervertreten war die queere Community, wie Mentari Baumann festhielt.
  • Für Tatjana Disteli stand und steht die Erschütterung durch die sexuellen Missbräuche im Zentrum. Diese wirke wie ein Trauma auf individueller und kollektiver Ebene. «Die Zeugnisse aus den Ländern, die uns in der Aufarbeitung der Missbrauchsthematik voraus sind, haben uns allen den Atem verschlagen.» Die Schweizer Kirche stehe erst am Beginn. Im synodalen Prozess sieht Disteli einen Weg der Einsicht und Umkehr: «Gelingt er, wird die Kirche wieder auferstehen.» Sie glaube seit Prag wieder daran, dass wir das Steuer herumreissen könnten.
  • Die Schweizer Delegierten nahmen in Prag wahr, dass sie mit ihren Anliegen in Europa nicht allein stehen, dass sie auch als Stimmen einer kleinen Kirche beachtet wurden und dass die reichen demokratischen Erfahrungen aus der Schweiz auf Interesse stiessen. Alle Vorträge seien gleichwertig präsentiert worden, sagte Felix Terrier.
  • Die Einstellung der Delegierten aus den verschiedenen Teilen Europas zu zentralen Themen wie den gleichen Rechten der Frauen oder dem Missbrauch erwiesen sich in Prag als höchst unterschiedlich: «Wir stehen an einem anderen Ort» (Helena Jeppesen); «die Erkenntnis, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen ist, ist in Ost- und Südeuropa später angekommen als in Westeuropa» (Bischof Felix Gmür); «es gibt viele unterschiedliche katholische Realitäten» (Mentari Baumann). Bischof Gmür wies zudem darauf hin, dass «das II. Vatikanische Konzil in Osteuropa zum Teil noch kaum angekommen ist, da man dort lange Zeit die Texte gar nicht lesen konnte».
  • Angesichts der Uneinheitlichkeit der Auffassungen, der Unklarheit über die Ziele und über das Verständnis, was «synodal» heisst, erscheint die Gefahr real, dass der von Papst Franziskus angestossene synodale Prozess in eine Sackgasse führen könnte. Helena Jeppesen nahm jedoch aus Prag die Erkenntnis mit: «Dieses Ding ist nicht mehr zu stoppen.»

Stimmen aus dem Publikum

Nach den persönlichen Eindrücken der Delegierten auf dem Podium waren in Aarau auch die Anwesenden im Kirchenschiff eingeladen, nach einem kurzen Austausch in Kleingruppen ihre Erkenntnisse zum synodalen Prozess zu notieren. Stichworte, die der Moderator anschliessend aus diesen Notizen vortrug, waren etwa: Abbau der Hierarchie zugunsten von Partizipation und einer Kultur der Diskussion; die Ökumene und die Schöpfung sollen im Prozess eine Rolle spielen; die Beteiligung der Jugend und der Migrationsbevölkerung muss stärker beachtet werden; es sind Möglichkeiten für Lösungen in der Schweiz zu eröffnen – «aber sind wir auch bereit dazu und mutig genug?».

Gereizter Bischof: «So geht es nicht!»

Völlig unerwartet war, wie negativ diese Anliegen des ihm wohlgesinnten Publikums in Aarau beim Diözesanbischof ankamen. Was er hier gehört habe, sei «nicht anmächelig» und habe ihm den Eindruck gegeben, die Kirche sei am Boden – «so geht es nicht!», sagte Gmür. Ohne ersichtlichen Anlass setzte er zu einem Rundumschlag an: Hierarchien gebe es nicht nur auf der pastoralen, sondern auch auf der staatskirchenrechtlichen Seite – den Unterschied, dass sie dort auf einer demokratischen Ordnung und Wahlen durch die Kirchenmitglieder beruhen, liess er beiseite.

Es ärgere ihn, dass man hier alles von Rom erwarte – «ich brauche die Umkehr von uns», meinte der Bischof. Man verlange, auf die Jugend zu hören – «aber wenn ich in die Pastoralräume sehe, dann hört man dort nicht auf die Jugend, sondern auf die 60- und 70-Jährigen». Was die Beziehung zur Migration betreffe, so seien «wir nicht wirklich offen, sondern wollen, dass die Migrantinnen und Migranten mehr oder weniger so werden wie wir». Ohne erkennbaren Bezug stellte Gmür die Aussage in den Raum, wir – die Kirche in der Schweiz – «haben viel Geld»: Das sei für manche Zwecke gut, «es verhindert aber auch vieles». Was den Bischof zu diesen emotional wirkenden Äusserungen gereizt hatte, blieb wohl für die meisten Anwesenden nicht nachvollziehbar.

Erwartungen und Klärungsbedarf

Wie geht es nun weiter – im synodalen Prozess der Weltkirche, aber auch im Bistum Basel? Einigermassen greifbar abgesteckt wurden die Positionen mit den folgenden Aussagen:

  • RKZ-Präsidentin Renata Asal-Steger bekräftigte, für sie sei die Rolle der Frau zentral. Die Taufe sei die Grundlage der gleichen Würde aller Getauften.
  • Bischof Felix Gmür stellte in Aussicht, er werde sich für die Möglichkeit einsetzen, Frauen zu Diakoninnen zu weihen. Zum Konzept der Synodalität in der Kirche erklärte er: «Synodales Zuhören ja, aber dann muss jemand Verantwortung übernehmen. Das müssen wir im Bistum Basel noch klären.»
  • Helena Jeppesen formulierte: «Es braucht in der Kirche Probierräume, so wie es sie für die Einführung der Ständigen Diakone gab.» Die Kirche könne in verschiedenen Ländern unterschiedlich aussehen. Für solche dezentralen Lösungen brauche es mutige Bischöfe. Diese Aussage erhielt in Aarau Applaus vom Publikum.

Christian von Arx

Eine kleine, aber hoch interessierte Zuhörerschaft: Der Einladung des Bistums Basel zu dem öffentlichen Anlass «Erfahrungen und Erkenntnisse aus Prag» am 19. April in der Kirche St. Peter und Paul in Aarau folgten schätzungsweise 120 Personen aus dem ganzen Bistum. | © Christian von Arx