14.12.2023 – Editorial

Die Macht der Gemeinschaft

Wie haben die Menschen die Religion entdeckt? Mit dieser Frage befasst sich Émile Durkheim, ein Klassiker der Soziologie, in seinem 1912 erschienenen Werk «Die elementaren Formen des religiösen Lebens». Aus der Sichtweise Durkheims fiel die Religion nicht als Offenbarung vom Himmel, sondern entwickelte sich aus dem Bewusstsein der Kraft, die der soziale Zusammenhalt entfaltet.

Durkheim sagt es so: «Die erste Macht, die sich die Menschen als solche vorgestellt haben, scheint die Macht gewesen zu sein, die die Gesellschaft über ihre Mitglieder ausübt.» In Durkheims Definition ist Religion ein «solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören. Religion ist also eine kollektive Angelegenheit.»

Man mag beklagen, dass Durkheims Ansatz jegliche Transzendenz ausblendet, doch mir gefällt an seiner Optik das Potenzial, das er menschlichen Gemeinschaften zuspricht. Ja, es ist ein Potenzial für Gutes und Schlechtes, aber vor allem auch eines, das uns in die Pflicht nimmt, etwas zu tun. Durkheim schreibt dazu: «Die Gläubigen fühlen, dass die wahre Funktion der Religion nicht darin besteht, uns zum Denken zu bringen, unser Wissen zu bereichern, unsere Vorstellungen zu ergänzen, sondern uns zum Handeln zu bringen und uns helfen zu leben.»

Mit diesen Gedanken verabschiede ich mich nach 13 Jahren bei «Kirche heute» und gebe den Stab der redaktionellen Verantwortung an Leonie Wollensack weiter.

Regula Vogt-Kohler