11.03.2021 – Editorial

Der Knoten im Jura

«Jura – Ärgernis der Schweiz» hiess ein Buch, das der Bieler Journalist Marcel Schwander vor 50 Jahren schrieb. Auf dem Umschlag ein Schulheft «Schweiz» mit dicken Tolggen. Fünf Jahre später erschien «Ir(r)land Jura» vom südjurassischen Separatisten Alain Charpilloz, das zweite «R» im Titel wie eine brennende Fackel gestaltet.

Die Buchtitel aus den Siebzigerjahren rufen in Erinnerung, welche Brisanz der Jurakonflikt damals erreicht hatte. Zuvor hatte es zumindest die deutsche Schweiz lange Zeit nicht gross gekümmert, welches Problem die Berner mit dem Jura hatten. Es war der Kampf um einen eigenen Kanton, der in vielen Schweizerinnen und Schweizern erst das Interesse an Geschichte und Eigenart dieser Landesgegend weckte – und mit dem Interesse auch Verständnis und Zuneigung. Bei mir jedenfalls war es so. Noch heute muss mich die damals von der Post herausgegebene Briefmarke darüber hinwegtrösten, dass ich bei der eidgenössischen Abstimmung über die Gründung des Kantons Jura am 24. September 1978 noch kein Stimmrecht hatte.

Wenn Ende dieses Monats Moutier noch einmal über «Bern oder Jura?» abstimmt und die Frage dort noch immer Gräben aufreisst, so wirkt das heute wie aus der Zeit gefallen. Ist denn jetzt nicht der Ausweg aus der Corona-Pandemie von ganz anderer Dringlichkeit? Und stehen wir mit dem Klimawandel nicht vor einer Aufgabe, die nicht einmal an den Rändern der Kontinente, geschweige denn an Kantons- und Gemeindegrenzen Halt macht?

Der Blick auf den Jura zeigt: Der Wunsch nach der Freiheit, im «eigenen» Gemeinwesen zu leben, ist eine starke Triebkraft. Er ist im Jura auch durch die Umwälzungen von zwei Weltkriegen nicht einfach verschwunden. Das gilt für den Norden, wo das Kerngebiet des ehemaligen Fürstbistums Basel 164 Jahre nach dem Wiener Kongress von 1815 doch noch zum gleichberechtigten Schweizer Kanton geworden ist. Das gilt auch für den Süden, der sich dem Fürstbischof schon seit Jahrhunderten entfremdet und seinen Weg eher in den Bündnissen mit Bern gesucht hatte. Zwei Wege, Freiheiten zu gewinnen.

Landschaft und Geschichte verbinden Süd- und Nordjura gleichwohl zu einem gemeinsamen Schicksal. Das grosse Tal der ehemaligen Propstei Moutier-Grandval, das bis heute einfach Prévôté (Propstei) heisst, liegt in der Mitte. Ob die Stadt Moutier Ende März auf die andere Seite der Kantonsgrenze wechselt oder nicht: Ort und Tal bleiben ein Knoten, der den Jura verbindet.

Christian von Arx