Nähe zu den Menschen statt Strukturdebatten
Bischof Joseph Bonnemain will, dass sich die Kirche um die Sorgen der Menschen kümmert
Der neue Churer Bischof Joseph Bonnemain bezeichnet sein Bistum als krank. Es brauche «eine Therapie», sagte der studierte Arzt und Mediziner im Abschluss an den Gottesdienst zu seiner Bischofsweihe am 19. März in Chur.
Joseph Bonnemain liess es sich nicht nehmen, sich im mehrsprachigen Bistum Chur in verschiedenen Sprachen an die Gläubigen zu wenden. Sein Schlusswort würzte er mit rätoromanischen und italienischen Passagen.
Er wolle keine Kirche, die sich mit Strukturdebatten beschäftigt, sondern wolle nahe bei den Menschen sein, sagte der neue Bischof in ersten Interviews, die nach der Weihe veröffentlicht wurden. «Unsere Kirche muss bescheidener, demütiger, ehrlicher, transparenter werden», sagte Bonnemain.
«Mit Rüffeln erreicht man nichts – ebenso nicht mit Verboten oder Vorschriften.» Ihm gehe es darum «zu motivieren, zu integrieren, zu begleiten». Niemand brauche vor ihm «Angst zu haben».
«Wir verlieren viel Zeit»
Der neue Bischof wörtlich: «Unser Bistum ist krank und braucht eine Therapie. Wir beschäftigen uns mit uns selbst, mit unseren Strukturen, mit unseren Spannungen und Konflikten. Wir verlieren viel Zeit – und verpassen die Chance, für die Menschen da zu sein und ihnen zu sagen, wie sehr Gott sie liebt.»
Es reiche nicht, «vom Balkon aus die Lehre der Kirche und den Katechismus vorzutragen, sondern wir müssen die Sorgen der Menschen verstehen und mittragen». Die Menschen «brauchen uns viel mehr auf der Strasse». Es gelte herauszufinden: «Wie können wir diesen Menschen helfen? Wie können wir Zuversicht vermitteln?»
Riesigen Respekt vor Aufgabe
Bonnemain räumte ein, er habe «riesigen Respekt» vor der neuen Aufgabe, die «viel grösser ist, als es meine Kräfte zulassen». Er brauche dafür «die Hilfe aller», so der 72-Jährige; er selbst habe das Bischofsamt nicht gesucht.
Bei seiner Bischofsweihe am Josefstag, 19. März, nahmen auf seine Einladung auch drei Prostituierte aus Zürich teil. «Die beste Kapelle ist die Strasse», sagt Bonnemain. Er wolle sie bald empfangen und im Gespräch kennenlernen.
Erste Personalentscheidungen in vier Wochen
In Interviews nach seiner Weihe sagte Bonnemain auf die Frage, ob er als langjähriges Mitglied der Bistumsleitung nicht für Machtmissbrauch und spirituellen Missbrauch unter den Bischöfen Wolfgang Haas und Vitus Huonder mitverantwortlich sei: «Ich stand oft vor der Frage, ob ich gehen oder bleiben solle. Ich bin geblieben, weil ich überzeugt war, dadurch doch auch etwas Gutes bewirken zu können.»
Erste Personalentscheidungen im Bistum kündigte er für frühestens in vier Wochen an. Nach dem Rücktritt von Weihbischof, Generalvikar und Mediensprecher gebe derzeit zu wenige Schultern, um Arbeitslast und Neuanfang zu stemmen. Doch vorher wolle er viele Gespräche führen und ein Team bilden, das seine Visionen mittrage.
Zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche sprach sich Bonnemain für eine gross angelegte Studie aus, wenn möglich in einem landesweiten Kontext. Es gelte, auch die Namen von Verantwortlichen zu nennen. «Ich bin bereit dazu, schon am Montag alle Archive zu öffnen», so der neue Bischof.
kath.ch
Weitere Berichte und Materialien zur Bischofsweihe in Chur finden sich auf dem Portal des Katholischen Medienzentrums kath.ch, unter anderem:
Ausschnitte aus der Liturgie der Bischofsweihe auf Video
Eindrücke des Fotografen Christoph Wider vom Zürcher Pfarrblatt «Forum»
Das Schlusswort des neu geweihten Bischofs
Die Predigt von Kardinal Kurt Koch, der den neuen Bischof weihte
Interview zu Fragen der Kirche
Interview zum Lebenslauf des neuen Bischofs