© Peter A./Pixelio
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08.02.2024 – Impuls

Jesaja 43,1-3a;5-7

Aber nun spricht Gott so: Ich habe dich geschaffen, Jakob, und dich gebildet, Israel: Hab keine Angst, denn ich habe dich befreit, ich habe deinen Namen gerufen, zu mir gehörst du. Wenn du durch Wasser gehst, bin ich bei dir, und Wasserströme überfluten dich nicht. Wenn du durch Feuer gehst, verbrennst du nicht, und die Flamme versengt dich nicht. Denn ich bin Gott, deine Gottheit, heilig in Israel, dir zur Rettung.

Hab keine Angst, denn ich bin bei dir. Von Osten bringe ich deine Kinder und im Westen sammle ich die Deinen. Ich sage zum Norden: »Gib her!« und zum Süden: »Halte nicht zurück!« Ich bringe meine Söhne heim aus der Ferne, und meine Töchter von den Enden der Erde. Alle, die mit meinem Namen benannt sind, habe ich zu meinem Glanz geschaffen, gebildet und gemacht.

Bibel in gerechter Sprache

 

Beim Namen gerufen

Meine Grossmutter hiess Juliana. 1903 geboren, ist sie schon vor beinahe 30 Jahren gestorben. Als meine zweite Tochter tot zur Welt kam, bekam sie den Namen Tabitha Juliana. Und auch mein Bruder hat seine Tochter mit zweitem Namen Juliana genannt. So lebt der Name weiter und damit auch die Erinnerung.

Namen sind mehr als Schall und Rauch. „Beim Namen nennen“ ist die jährliche Aktion in vielen europäischen Städten, bei der die an den Grenzen Europas und im Mittelmeer ums Leben gekommenen Migrantinnen und Migranten beim Namen genannt oder ihre Namen aufgeschrieben werden. Ihre Namen zu nennen oder aufzuschreiben ist ein Zeichen, ein Protest gegen ihren Tod. Sie werden genannt. Damit sie nicht vergessen werden. Damit wir uns ihrer erinnern können. Ebenso tragen in ganz Europa die sogenannten „Stolpersteine“ mit den Namen der Jüdinnen und Juden, die in der Nazizeit deportiert und ermordet wurden, vor deren Häusern dazu bei, dass sie nicht vergessen werden. Dass nie vergessen wird, was damals geschehen ist. Damit es nie wieder geschieht.

Erinnerungskultur – sie ist so wichtig. Deshalb finde ich es persönlich auch sehr bedauerlich, dass die Tendenz mehr und mehr zur Beisetzung im Gemeinschaftsgrab ohne Namensnennung geht. Über einen Friedhof gehen, die Namen und Daten auf den Grabsteinen lesen, das schafft für mich Verbindung zur Vergangenheit, lässt mich nach den Geschichten fragen, die hinter den Namen stehen. Wird man in 50 Jahren noch so über Friedhöfe gehen und sich mit den Namen auf den Grabsteinen verbinden können?

Beim Namen gerufen sein. Namen sind zwar nicht einmalig, aber der Name in Verbindung mit dem Menschen, dem er gegeben wurde, ist immer einzigartig. Und wie schön ist es doch, wenn uns jemand liebevoll beim Namen ruft. Wie viel Zärtlichkeit liegt darin, wenn Eltern ihr Neugeborenes zum ersten Mal bei dem Namen nennen, den sie ihm ausgesucht haben. Wie viel Zärtlichkeit, Zuneigung und Begehren liegt darin, wenn Verliebte sich beim Namen rufen oder sich ihre Namen zuflüstern. Und so ruft Gott uns beim Namen. Verliebt und zärtlich und beschützend. Gott ruft jede und jeden von uns mit Namen und begleitet uns durch Wasserströme und Feuersgluten, dann, wenn die Tränen fliessen und dann, wenn wir eine Feuerprobe bestehen müssen. Und in jeder noch so schrecklichen Situation. Gott ist an unserer Seite und geht mit uns durch alles, was uns geschieht.

Beim Namen gerufen sein. Zu jemandem gehören. Beschützt, geliebt, getragen sein. In und aus diesem Bewusstsein leben. Und sich mit Zärtlichkeit erinnern an diejenigen, deren Namen wir vielleicht lange nicht mehr ausgesprochen haben. Wie an meine Grossmutter Juliana.

Dorothee Becker, Theologin und Seelsorgerin.
Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Franziskus,
Riehen-Bettingen