02.11.2023 – Editorial

Anwalt Abraham

Friedenstaube bei der reformierten Kirche St. Peter in Gelterkinden
© Christian von Arx

Es ist eine der eindrücklichsten Geschichten der Bibel. Gott gibt Abraham zu verstehen, dass er die Stadt Sodom zerstören will, wegen des Übermasses der Verbrechen ihrer Bewohner. Da tritt Abraham Gott entgegen: «Fern sei es von dir, so etwas zu tun: den Gerechten zusammen mit dem Frevler zu töten. Dann ginge es ja dem Gerechten wie dem Frevler. Das sei fern von dir. Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?»

 

So ringt er Gott die Zusage ab, Sodom zu vergeben, wenn er in der Stadt fünfzig Gerechte finde. In banger Ahnung marktet Abraham diese Zahl herunter: Auf fünfundvierzig, vierzig, dreissig, zwanzig. Gott zieht sich zurück mit dem Versprechen, Sodom auch um lediglich zehn Gerechter willen nicht zu vernichten.

Und wir? Manche von uns sind bereit, wegen der unvorstellbaren Kriegsverbrechen in der Ukraine alle Russen und alles Russische zu verdammen. Andere werfen nach dem Massaker entmenschlichter Hamas-Terroristen an Frauen, Männern, Jugendlichen und Babys in Israel das ganze Volk der Palästinenser in einen Topf mit den Mördern und Geiselnehmern.

Treten wir den Verallgemeinerungen entgegen. Sie sind falsch. Sie sind der Kern jedes Rassismus. Sie missachten das Recht, für das Abraham vor Gott eingetreten ist.

Die biblische Geschichte geht schlecht aus. In Sodom finden sich keine zehn Gerechten, die Stadt wird ausgelöscht: «Qualm stieg von der Erde auf wie der Qualm aus einem Schmelzofen.» Ja, auch heute machen viele bei den Verbrechen mit und jubeln den Mördern zu. Aber wir glauben: Im russischen und im palästinensischen Volk sind Gerechte. Sie sind es, die dereinst den Frieden schaffen werden.

Christian von Arx