Jerusalem | © jerusalem-108848, IrinaUzv, Pixabay, CC0
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22.05.2018 – Aktuell

Vom Schmelztiegel zur gespaltenen Gesellschaft

Am 14. Mai 1948 rief David Ben-Gurion den unabhängigen Staat Israel aus

Mehrere Religionen, verschiedene Völker und Einwanderer von allen Kontinenten machen den ethnisch-religiös-kulturellen Mix des jungen Staates Israel aus. Statt ­jedoch einen Schmelztiegel der Kulturen herauszubilden, zerfällt die Gesellschaft 70 Jahre nach der Staatsgründung in immer kleinere Gruppen.

Europäisch gegen orientalisch, religiös gegen säkular, links gegen rechts: Dem Traum Theodor Herzls und der zionistischen Bewegung einer einheitlichen jüdischen Nation steht heute ein extrem heterogenes Israel gegenüber. Integration und Abgrenzung sind in gewisser Weise bereits in der Entstehung des Staates angelegt: Explizit definiert die Unabhängigkeitserklärung von 1948 Israel als jüdischen Staat. Vor der Staatsgründung auf dem Gebiet lebende Muslime, Christen, Drusen und Bahai wurden eingegliedert. Als Staatsbürger mit gleichen Rechten gehören sie dazu, doch bleiben sie als nichtjüdische Minderheiten im jüdisch geprägten Establishment aussen vor. Dieses trägt zunehmend religiös-nationale Züge.

Mehrere Einwanderungswellen

Von Anfang an hatte der neue Staat den Anspruch, Heimstätte für Juden aus aller Welt zu sein. Lebten bei Staatsgründung 650 000 Juden im Land, verdoppelte sich ihre Zahl durch Einwanderung bereits in den ersten drei Jahren. Inzwischen ist sie auf 6,5 Millionen gestiegen – rund dreiviertel der Staatsbürger. Von diesen wiederum sind die meisten im Land geborene Israelis. Die heutige Zusammensetzung der jüdischen Bevölkerung Israels ist das Ergebnis mehrerer Einwanderungswellen. Die ersten Immigranten nach der Staatsgründung waren europäische Juden, Überlebende der Schoah. Es folgten Juden aus Asien und Afrika.

Getrennte Parallelwelten

Von einer Gesellschaft mit einer klaren Mehrheit habe sich Israel in eine Gesellschaft verwandelt, in der es weder klare Mehrheiten noch Minderheiten gebe, sagt Präsident Reuven Rivlin regelmässig. Damit beklagt er den Zerfall der Gesellschaft in Parallelwelten: Jede Gruppe fühle sich gleichermassen diskriminiert und in ihrer Identität durch die anderen Gruppen gefährdet. Die Gräben verlaufen nicht nur zwischen Juden, Muslimen und Christen. Allein die jüdische Community zerfällt in strengreligiöse, moderne, traditionelle und säkulare Gruppen. Austausch und Interaktion zwischen ihnen gibt es kaum. Ähnliches gilt für die anderen religiösen Gemeinschaften.

Keine Christenverfolgung

Die Christen sind eine der kleinsten israelischen Minderheiten. Seit es das Christentum gibt, gehören sie zum gesellschaftlich-religiösen Flickenteppich der Region – und stehen doch zwischen allen Stühlen. Obwohl sie mehrheitlich Araber mit israelischem Pass sind, fühlen sie sich kulturell eher als Palästinenser. Dennoch gehört das Christentum zusammen mit dem Islam, dem drusischen Glauben und dem Glauben der Bahai zu den anerkannten Religionen. Und der Staat garantiert seinen Bürgern Religionsfreiheit. Christenverfolgung wie in manchen arabischen Staaten der Region gibt es in Israel nicht.

Andrea Krogmann, kna; kath.ch