24.12.2020 – Editorial

Rituale

Seit vielen Jahren kommt die Tanne, die über die weihnächtlichen Festtage unsere Stube schmückt, aus dem nahen Wald. Dort ist der Baum, zusammen mit vielen Kameraden, die letzten paar Jahre herangewachsen, und ich bin viele, viele Male an ihm vorbeigejoggt. Zwar liegt bei einer Rennrunde im Hochsommer der Gedanke an Weihnachten fern, doch wenn mein Blick auf die sich entlang des Weges erstreckende Tannenplantage fällt, blitzt es schon mal in meinem Kopf. So viele schöne Bäume, und einer davon wird uns an den dunkelsten Tagen des Jahres erfreuen.

Von selbst kommt der Baum natürlich nicht zu uns nach Hause. Wenige Tage vor Heiligabend machen wir uns jeweils auf den Weg, der in dieser frühwinterlichen Zeit meistens mehr oder weniger deutliche Spuren an Schuhen und Hosen hinterlässt. Die perfekte Version unserer Mission Weihnachtsbaum sieht so aus: Frau Holle hat uns einen weissen Teppich ausgerollt, und wir nehmen den Schlitten aus der Garage. Die Sonne lässt den Schnee glitzern, unter unseren Schuhen knirscht es. Winter wie auf dem Weihnachtskalender!

Die Realität sah bisher so aus: Ein einziges Mal lag genügend Schnee für einen Einsatz unseres guten, alten Davoser Schlittens. Auf dem Hinweg war er uns mehr Last als Erleichterung, die meiste Zeit mussten wir ihn durch den weichen Schnee ziehen. Den Rückweg haben wir uns einfacher vorgestellt. Da wir ungenügend ausgerüstet waren, purzelte der Baum viele Male in den Schnee.

Und dieses Jahr nun dies: Weit und breit kein Schnee, und wegen der «allgemeinen Lage» fiel auch noch die Möglichkeit, sich kulinarisch zu stärken, aus. Klöpfer braten über der Feuerschale, eine Kürbissuppe, deren Orange auch bei düsterstem Wetter den Tag aufhellt, ein Apfelpunsch, Weihnachtsgutzi – alles gestrichen wie das Singen von «Stille Nacht», «O du fröhliche» und «Herbei, o ihr Gläubigen».

Am Kern der Geschichte «Wir holen unseren Weihnachtsbaum» hat sich aber nichts geändert. Was die Details betrifft, so haben wir endlich einmal einen Vorsatz, den wir Jahr für Jahr mit in den Wald genommen haben, umgesetzt: Der Weihnachtsbaum Jahrgang 2020 ist ein Stück kleiner als die allermeisten seiner Vorgänger. Kleiner, aber nicht leichter, wie wir beim Nach-Hause-Tragen schnell feststellten.

Ja, Weihnachten findet statt, wenn auch ­anders als gewohnt. Kleiner, aber nicht weniger (ge)wichtig. Weniger Rummel kann Raum schaffen, um sich (zurück) zu besinnen, was ­eigentlich der Kern unserer Weihnachtsrituale ist.

Regula Vogt-Kohler