Verena Gauthier Furrer war es immer wichtig, in sozialpolitischen Diskussionen ein Gespräch zu ermöglichen, in dem sich jede/r gehört fühlt. | © Norbert W. Saul
Verena Gauthier Furrer war es immer wichtig, in sozialpolitischen Diskussionen ein Gespräch zu ermöglichen, in dem sich jede/r gehört fühlt. | © Norbert W. Saul
22.02.2024 – Aktuell

Gemeinsam etwas entstehen lassen

Verena Gauthier Furrer blickt zurück auf fünf Jahre «Fachstelle Diakonie» der Kirche Baselland

2018 beschliesst die Römisch-katholische Kirche des Kantons Basel-Landschaft die Gründung einer neue Fachstelle Diakonie. Die Hauptaufgaben: Unterstützung und Beratung der Pastoralräume und der Fachstellen. Verena Gauthier Furrer ist von Beginn an die Leiterin. Nun geht sie in den Ruhestand.

Mit einem «diakonischen Blick» auf die Gesellschaft schauen und sich um diejenigen kümmern, die durch das soziale Hilfsnetz fallen – mit dieser Vision begann Verena Gauthier Furrer 2019 als Leiterin der neu gegründeten Fachstelle Diakonie. Sie erklärt: «Die Arbeit der Diakonie orientiert sich an Jesus selbst. Er kümmerte sich um die Menschen, um die sich sonst niemand kümmerte, die Menschen am Rand der Gesellschaft. Dabei fragte er nicht ‹Wer bist du? Was ist dein Stand oder deine Religion?› sondern er fragte ‹Wo ist deine Not?›, das ist Diakonie.» Hilfe ist wichtig und Ideen gab und gibt es viele. Die Schwierigkeit war es, die verschiedenen Anbieter und die bereits existierenden Angebote zu einem tragfähigen, effizienten, für jeden erreichbaren Hilfsnetz zu verknüpfen. Als Leiterin der Fachstelle hatte Gauthier Furrer es sich zur Aufgabe gemacht, diese Netzwerkarbeit zu übernehmen. Sie war einerseits Ansprechpartnerin für alle in der Diakonie Tätigen in den Pfarreien, also für diejenigen, die direkt in Kontakt mit den unterstützten Menschen waren, um ihnen das an die Hand zu geben, was sie für ihre Arbeit vor Ort brauchten.  Auf der anderen Seite pflegte sie Kontakte zu verschiedenen Akteuren wie zur Caritas beider Basel, zur ATD Vierte Welt, zur Winterhilfe, zu ihrem Pendant in Basel-Stadt, zu den staatlichen Fachstellen,  zu den diakonischen Stellen der reformierten Kirche und grundsätzlich zu allen sozialen Anbietern im Kanton Basel-Landschaft. «Ich war die Schnittstelle zwischen den Pfarreien, die ja unsere Kunden sind, und den anderen Akteuren. Es macht keinen Sinn, in den luftleeren Raum hineinzuagieren. So vieles gibt es schon und ich habe geschaut, wer was anbietet und die Leute dann zusammengebracht», so Gauthier Furrer. «Das war auch das, was mir an meiner Arbeit am meisten Spass gemacht hat. Der Kontakt zu den Menschen und gemeinsam etwas entstehen zu lassen. In dieser Zeit ist eine wirklich gute Zusammenarbeitskultur entstanden.»

Kirche zeigt sich als systemrelevant

Bevor sie zur Leiterin der Fachstelle Diakonie im Dienst der Kirche wurde, arbeitete Gauthier Furrer viele Jahre als Sozialarbeiterin in Gemeinden und Institutionen der Region Basel. «In all den Jahren habe ich immer gut mit den kirchlichen Sozialdiensten zusammengearbeitet und auch beobachtet, wie der kirchliche Sozialdienst mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat. Einige wichtige Aspekte der sozialen Arbeit der Gemeinden sind im Zuge von Sparmassnahmen weggefallen und die kirchlichen Sozialdienste haben diese Lücke geschlossen», erläutert sie. Es handle sich dabei gerade um die Bereiche der Sozialarbeit, die einen Teil des Kerngeschäfts der Sozialdienste ausmachten: Beratung von Menschen in Armut trotz Erwerbstätigkeit, bei Schulden oder anderweitigen Sorgen, eine Anlaufstelle, die immer ein offenes Ohr für die akuten Sorgen und Bedürfnisse aller Menschen hat. «Die Kirche ist mit ihrer sozialen Arbeit zunehmend professionell und innovativ. Und mit ihrem Einsatz in diesem wichtigen Bereich hat sie sich auch als systemrelevant gezeigt», betont Gauthier Furrer.

Netzwerke aufbauen und sichtbar machen

Diese Relevanz durfte und musste die Diakonie bereits in mehreren Krisen unter Beweis stellen. Während der Corona-Pandemie herrschte viel Unsicherheit und Unklarheit. Die Fachstelle Diakonie konnte in dieser Phase oft schneller reagieren als staatliche Institutionen und etablierte bei Bedarf zügig verschiedene Beratungs- und Hilfsangebote für die Menschen. In dieser Zeit entstand beispielweise der Caritas-Lieferdienst. Es wurde ein Telefondienst etabliert, bei dem bedürftige Menschen anrufen und vergünstigte Lebensmittel in die Pfarrei und teilweise auch zu sich nach Hause liefern lassen konnten. Auch während der Ukrainekrise konnte schnell Hilfe geleistet werden. «Ich habe sofort Kontakt mit den kantonalen Stellen aufgenommen und gefragt: ‹Was braucht ihr von uns?›. Die Antwort war: ‹Wir brauchen Menschen, die die Geflüchteten aufnehmen können›. Ich habe diese Information an meine Kontakte gestreut, die Antworten aufgenommen und gesammelt und anschliessend an den Kanton weitergeleitet», erinnert sich Gauthier Furrer. Sowohl bei der Corona- als auch bei der Ukrainekrise war es zentral, relevante Informationen zu sammeln und sie an die Verantwortlichen der Pfarreien weiterzugeben, damit die Hilfe der Betroffenen vor Ort  rasch und qualifiziert erfolgen konnte.  Auch bei Krisen, die eher schleichend kommen, ist die Diakonie im Einsatz. Einsamkeit ist nach Erfahrung der Fachstellenleiterin ein Thema, das immer mehr an Gewicht gewinnt. Gemeinsam mit der reformierten Kirche hat die Fachstelle Diakonie eine Erhebung zum Thema «Seelsorge im Alter» gemacht und es kristallisierte sich unter anderem ein grosses Bedürfnis bei den Menschen über 65 heraus: «Möglichkeiten der Einsamkeit zu entfliehen». Gemeinsam mit der reformierten Kirche rief die Fachstelle Diakonie die Website sozial-kathbl.ch, unter dem Motto «Einsam Gemeinsam», ins Leben. Das Ziel: Die verschiedenen Angebote gegen Einsamkeit und Treffpunkte vernetzen und sichtbar machen. Die Sozialarbeitenden in den Pfarreien halten die Daten immer aktuell, um so die Menschen auf aktuelle Angebote hinweisen zu können –pfarreiübergreifend.

Kirche braucht Diakonie

Rückblende: Es ist der 16 Oktober 2021. Im Landratsaal in Liestal hat sich eine aussergewöhnliche Melange verschiedenster Menschen zusammengefunden. Anwesend sind Politikerinnen und Politiker, Fachleute, Presseleute und armutsbetroffene Menschen. Sie haben sich versammelt, um die zweite Armutskonferenz abzuhalten. Unter den Menschen ist auch Gauthier Furrer. Sie ist eine der Initiatorinnen der Konferenz. Den Betroffenen eine Stimme geben, ihnen die Gelegenheit einräumen, ihre Bedürfnisse zu äussern, darum geht hier. Der Druck auf die Betroffenen gross. Ad hoc eine Rede vor so vielen Versammelten zu halten, fällt wohl den meisten Menschen nicht leicht. Gauthier Furrer hat die Betroffenen deshalb bereits im Vorfeld interviewt und präsentiert die Beiträge während der Konferenz mittels Videobotschaften. «Das war rückblickend der berührendste Moment meiner Arbeit auf dieser Stelle», sagt sie. «Die armutsbetroffenen Menschen sassen da bei den Politikerinnen und Politikern, sie nahmen die Gelegenheit wahr, ein Statement abzugeben. Das ist für mich sinnbildlich für meine gesamte Arbeit bei der Fachstelle Diakonie.»

Gauthier Furrer resümiert: «Immer wieder habe ich im Laufe meiner Tätigkeit die Rückmeldung bekommen, dass die diakonische Arbeit das ist, was die Menschen an der Kirche besonders schätzen. Intern wird von einigen die Frage gestellt, ob wir uns Diakonie leisten können. Meine Antwort: ‹Wir können es uns nicht leisten, es nicht zu tun.› Die Diakonie ist sowohl Auftrag als auch Chance für unsere Kirche. Jetzt und in der Zukunft.»

Leonie Wollensack