© Susanne Schmich | pixelio.de
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24.12.2023 – Hintergrund

Das Geheimnis der Menschwerdung

Nie werde ich das Gefühl vergessen, das mich im Frühjahr 2003 bei einer Sonntagsmesse mit Mozartmusik in der Salzburger Franziskanerkirche ergriff, als die Sequenz „Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est“ gesungen und dabei der letzte Satz mehrfach wiederholt wurde. Ja, mit dem Geheimnis der Menschwerdung steht und fällt die Singularität des Christentums in der Religionsgeschichte: Es ist der Angelpunkt des christlichen Glaubens. Die Beantwortung der Frage, warum Gott Mensch geworden ist, gehört daher zu den zentralen Fragen christlicher Theologie. Die Antwortversuche sind vielfältig, wie etwa die vom germanischen Ehrenkodex geprägte Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury (†1109), wonach nur der Sohn als stellvertretendes Opfer dem Vater würdige Genugtuung für die Sünde Adams leisten konnte.

Mich hat immer die mystische Spur des „wunderbaren Tausches“ (Gott wird Mensch, damit der Mensch in die Gottebenbildlichkeit besser hineinwachsen kann) mehr angezogen, die sich bereits bei den Kirchenvätern findet und die das Zweite Vatikanische Konzil betont hat, wenn es sagt, dass der Sohn „sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“ hat. Mit „jedem“ Menschen, nicht nur mit den Christen. Denn diese Vereinigung ist so universal wie die mit der Schöpfung gegebene göttliche Berufung des Menschen, die nun verdeutlicht und gesteigert wird.

In der mystischen Tradition wird Gott aus Liebe zu uns Mensch, damit seine „Güte und Menschenfreundlichkeit“ (Titus 3,4) besser erkannt werden können; er wird uns ähnlich und nimmt unsere Natur an, weil die Ähnlichkeit zwischen den Geliebten das Gesetz der Liebe ist.

Johannes vom Kreuz sagte: „Was Gott beansprucht, ist, uns zu Göttern durch Teilhabe zu machen, wie er es von Natur aus ist, so wie das Feuer alle Dinge in Feuer verwandelt“. Mit weniger sollten wir uns nicht zufriedengeben – so erhaben ist unsere Würde als Gesprächspartner Gottes! Doch zum Hineinwachsen in die Gottebenbildlichkeit, wie dies Bruder Klaus in seinem berühmten Gebet erflehte, ist viel Demut nötig, viel Selbsterkenntnis unserer Erlösungsbedürftigkeit … und auch dass wir „freiwillig“ zulassen, dass Gott uns unaufhörlich zu seinem Bild und Gleichnis gestaltet: „Mein Herr und mein Gott / nimm mich mir / und gib mich ganz zu eigen Dir“.

Prof. Mariano Delgado, Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog